Kritik an Anti-Terrorlisten von UN und EU

Für eine Privatperson, die nur aufgrund "vager Verdachtsmomente" in das Visier des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA geraten sei, bedeute ein Eintrag in eine Schwarze Liste eine "zivile Todesstrafe", sagte Europaratsermittler Dick Marty.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 314 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • dpa

Auf den Schwarzen Listen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union über Terrorverdächtige stehen nach Erkenntnissen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Dick Marty auch unbescholtene Bürger. Für eine Privatperson, die nur aufgrund "vager Verdachtsmomente" in das Visier des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA geraten sei, bedeute ein solcher Eintrag eine "zivile Todesstrafe", sagte Marty vor der Vorstellung seiner Untersuchung am Montag in Paris.

Es sei "skandalös und rechtstaatlich nicht vertretbar", dass Personen weder über den Eintrag in die Liste noch über die Gründe dafür informiert würden, sagte Marty in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung des Europarats. Der 62-jährige Schweizer Abgeordnete und frühere Tessiner Staatsanwalt ist durch Untersuchungen über CIA-Geheimflüge und Geheimgefängnisse in Europa bekanntgeworden ist.

Auslöser der Untersuchung ist der Fall des 76-jährigen Italieners ägyptischer Herkunft Youssef Nada, dessen Geschäft durch den Eintrag in die Schwarze Liste ruiniert worden ist. Nach dem Verdacht des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA soll Nada zu den Finanzgebern der Anschläge vom 11. September 2001 gehören, doch vierjährige Ermittlungen der Schweizer Justiz, die der Betroffene selbst gefordert hatte, haben keine Verdachtsmomente ergeben. "Keiner kann sagen, dass ich in meinem Leben irgendetwas Unrechtes getan habe", sagte Nada der Deutschen Presse Agentur (dpa).

"Meine Konten sind gesperrt, ich kann seit fünf Jahren nicht mehr arbeiten und auch nicht über die Grenze zum Arzt fahren". Er sei auf die Schwarze Liste gesetzt worden, ohne informiert zu werden, ohne angehört zu werden und ohne Möglichkeit, dagegen juristisch vorzugehen. Aus seinem Glauben hat er nie einen Hehl gemacht. Er bezeichnet sich selbst als islamischen Aktivisten, der friedlich und ohne jede Gewalt die Menschen zu überzeugen sucht. "Dies ist nur ein Beispiel von vielen", sagte Marty.

Das Verfahren im Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrats und im EU-Ministerrat ist nach Ansicht Martys ein "rechtsstaatlicher Skandal unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung". Es schaffe gravierendes Unrecht für viele Einzelpersonen, gegen die kein Beweis strafrechtlicher Handlungen vorliegt. Wie viele Unschuldige in die Liste mit mehreren 1000 Einzelpersonen geraten sind, ist nicht klar, Marty vermutet jedoch eine Reihe von Einzelfällen.

Die Regierungsvertreter bei den UN und der EU, die auf Wunsch der USA die Verdächtigen in die Schwarze Liste eintragen, wissen nach Angaben Martys meistens auch nicht, welche Verdachtsmomente gegen diese Personen vorliegen. Auch habe es bisher keine Möglichkeit gegeben, von der Liste wieder herunterzukommen.

Marty wendet sich nicht gegen die Listen an sich, die die Terrororganisation El Kaida und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK enthalten, doch das willkürliche Verfahren der Auflistung "macht den internationalen Kampf gegen den Terrorismus unglaubwürdig". Auch die EU, die sich der Grundrechtscharta verschrieben habe, schade mit derart "indiskutablen Prozeduren" ihrem Image.

Martys Ermittlungen, die er vor etwa einem Jahr in Angriff genommen hat, haben bereits erste Erfolge gezeigt. Personen werden nach Angaben des Europarates jetzt schriftlich informiert, bevor sie auf die Liste gesetzt werden und Länder können einen Antrag stellen, um eine Einzelperson von der Liste wieder herunterzunehmen. (dpa) / (anw)