Berlin Music Week: Indies in der Streaming-Falle

Musik-Streaming, das schon von den Major Labels nicht besonders geliebt wird, stellt die Indie-Szene vor ungleich größere Herausforderungen. Mit den Kleinstbeträgen, die Streaming-Anbieter zahlen, kann keine Produktion finanziert werden.

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Streaming stellt gerade Indie-Labels vor besondere Herausforderungen, darüber war sich die Diskussionsrunde auf der Music Week einig. (v.l.n.r.: Thorsten Schliesche, Mark Chung, Christof Jessen, Alison Wenham, Friedel Muders, Dario Dumancic)

(Bild: Volker Briegleb / heise online)

Daten sind wichtig. "Für das Überleben im Musikgeschäft ist absolut entscheidend, dass wir unsere Daten auf die Reihe bekommen", sagt Mark Chung. Der ehemalige Bassist von Abwärts und den Einstürzenden Neubauten leitet einen von ihm gegründeten Musikverlag. Als Vorstandsmitglied des Verbands der Unabhängigen Tonunternehmen (VUT) sorgt er sich um die Zukunftsfähigkeit seiner Branche. Die muss aufpassen, dass die Brotkrümel, die neue digitale Geschäftsmodelle derzeit für Indie-Musik abwerfen, auch ankommen. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Metadaten in den Systemen korrekt sind. Wer das nicht tut, wird schlicht und einfach Probleme bekommen", sagt Chung zum Auftakt der Berlin Music Week am Donnerstag.

Streaming-Anbieter, die schon von den Major Labels nicht besonders geliebt werden, stellen die Indie-Szene vor große Herausforderungen. Noch zahlen die Dienste zu kleine Beträge pro Stream. "Das ist Komma Null, und manchmal noch eine Null", betonte Alison Wenham vom internationalen Indie-Netzwerk Merlin. Für sein Label Fuego kann Friedel Muders das in Zahlen fassen: Er bekommt zwischen 0,0039 und 0,005 Euro pro Play. "Damit kann man keine Produktion bezahlen", sagt der Label-Chef. Auch nicht eine kleine, die nur ein paar Tausend Euro kostet: In der Nische erreichen die einzelnen Tracks nicht die nötige Anzahl Streams.

Den kleinen Labels fehlen die dicken Kataloge, mit denen die Major Labels 60 Prozent ihres Geschäftes machen, betont Wenham. Ein Major kann das Problem Streaming anders angehen als ein Indie, der Produktionen nicht aus dem Bestand subventionieren kann. Muders hat für sein Label daher schon frühzeitig begonnen, einen Katalog aufzubauen; Streaming macht etwa 10 Prozent seines Digitalumsatzes aus. "Ich sehe im Streaming die Zukunft", sagt der Label-Chef. Ein Durchbruch werde sein, wenn Internet-Radios in Autos Standard werden.

Für Dario Dumancic vom Dortmunder Metal-Label Century Music ist Streaming deshalb auch noch kein richtiger Vertriebskanal, sondern dient eher dem Marketing. Auch YouTube spielt dafür eine Rolle, das Label verwertet dort seit vier Jahren seine Videos. Da kommt ein bisschen Geld rein, aber viel es es nicht, räumt Dumancic ein. "Das sind fünf bis sechs Prozent unseres Digitalumsatzes", sagt er. Wenn sich die Branche weiterentwickeln will, "brauchen wir neue Strategien".

Damit tun sich die etablierten Indies, für die CDs immer noch das Brot-und-Butter-Geschäft sind, noch schwer. "Das Verbraucherverhalten hat sich geändert, die Musikbranche muss dem folgen", meint Thorsten Schliesche. Der Vertreter von Napster hat keine Illusionen über seine Rolle auf der Music Week: "Ich sitze hier, um das Böse zu repräsentieren". Aber auch, um mit ein paar "Märchen" aufzuräumen, die in der Branche über Streaming erzählt werden.

"Das Produkt wurde komplett neu definiert", sagt der Napster-Mann. Die Branche dürfe nicht mehr in Alben denken, die relevante Größe ist jetzt ein "Play": Wie oft wird ein Musikstück aufgerufen – wie Groß der dafür ausgeschüttete Krümel ist, hängt auch davon ab, ob der Nutzer ein Abo-Kunde ist oder einen werbefinanzierten Stream hört. "Wir schütten 70 bis 80 Prozent unseres Umsatzes an die Musikindustrie aus", sagt Schliesche. Wenn man dann noch GEMA-Abgaben und Umsatzsteuer einrechnet, muss auch Indie-Vertreter Chung einräumen, wird es langsam eng.

Schlieche hält nichts von werbefinanzierten Streams, für ihn gehört die Zukunft dem Musik-Abonnement. Napster trage sich in Europa inzwischen von den Einnahmen, bald darf man auch auf Gewinn hoffen. Dem Newcomer Spotify wirft Schliecher vor, mit Investorengeldern im Rücken "in zwei Jahren hundert Millionen Euro verbrannt" zu haben, um im Markt die Botschaft zu verbreiten, das es Musik auch umsonst gebe. Auch wenn er Recht haben mag: So etwas von Napster zu hören entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

[Update 09.09.2013 18:30]:

Die Angaben zu den Beträgen, die Fuego von Streamingdiensten pro Play erhält, wurden mehrfach geändert. Richtig ist: Das Label bekommt zwischen 0,0039 und 0,005 Euro pro Play, also kaum einen halben Cent . Um auf eine Summe von etwa 5000 Euro zu kommen, müsste ein Song mehr als eine Million Mal abgespielt werden. (vbr)