Experten betrachten geplante Kinderporno-Sperrmaßnahmen als wirkungslos

Bei einer Anhörung im Bundestag brachte die Mehrzahl der Sachverständigen schwerwiegende Bedenken gegen die von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen vorangetriebene Initiative zur Blockade kinderpornographischer Webseiten vor.

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Bei einer Anhörung im Unterausschuss Neue Medien des Bundestags am Donnerstag brachte die Mehrzahl der Sachverständigen schwere Bedenken gegen die von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mit Nachdruck vorangetriebene Initiative zur Blockade kinderpornographischer Webseiten vor. Insbesondere eine freiwillige Sperrvereinbarung großer Provider, wie sie die CDU-Politikerin bis vor kurzem bevorzugte, brächte Juristen und Branchenvertretern zufolge große Rechtsunsicherheit für die Zugangsanbieter mit sich. Hinzu komme eine Reihe von Unwägbarkeiten technischer Natur bis hin zur Beeinträchtigung der Verfügbarkeit des Netzes.

Allein ein Vertreter des Bundeskriminalamts (BKA) und ein Abgesandter der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) brachen eine Lanze für das heftig umkämpfte Vorhaben der Ministerin. BKA-Direktor Jürgen Maurer sprach von einem "Versuch, das Überangebot an kinderpornographischem Material einzudämmen". Die repressive Seite bei der Bekämpfung der Kinderpornographie sei bereits "sehr stark abgedeckt", verwies der Ermittler auf große einschlägige Strafverfolgungsverfahren mit "Tausenden von Beschuldigten". Die Prävention spiele daher nun eine wichtige Rolle, um "kriminelle Verwertungsstrukturen zu stören" und den sich mit dem Internet eröffneten "ganz neuen Markt" für die Verbreitung kinderpornographischer Bilder auszutrocknen.

Konkret schlug Maurer eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Zugangsanbieter vor. Einbauen sollten diese eine Klausel, wonach sie keine Verpflichtung zur Verfügungsstellung von Kinderpornographie eingehen würden. Das BKA gewährleiste dann, dass "keine Charlie-Chaplin-Filme" auf den blockierten Seiten seien. Eine entsprechende Filterliste gebe es hierzulande noch nicht, könne aber mit Zuarbeit aus dem Pionierland Norwegen "in kürzester Zeit" mit rund 5000 oder 10.000 zu sperrenden Domain-Adressen erstellt werden. Technisch laufe die Diskussion auf eine Blockade auf Basis des Domain Name Systems (DNS) hinaus. Die Beurteilung deren Wirksamkeit müsse man einer auch in den skandinavischen Ländern noch nicht erfolgten wissenschaftlichen Evaluation überlassen.

Die bevorzugte Sperrlösung wollte Hannes Federrath, Professor für Informationssicherheit an der Uni Regensburg, nicht einmal als "Zugangserschwernis" durchgehen lassen. "Das erschwert überhaupt nichts", sagte der Techniker. Nur der Unbedarfte gelange bei einem DNS-Ansatz nicht mehr auf Kinderporno-Seiten. Jeder Nutzer, der entsprechende, hierzulande illegale Inhalte sehen möchte, brauche dagegen nur sein Feld für die Interneteinstellungen zu öffnen und anstelle des voreingestellten DNS-Servers einfach einen anderen einzutragen. Von derlei Verzeichnisdiensten gebe es weltweit viele, die einen ungefilterten Zugang zum Internet böten. Zugleich wunderte sich Federrath, dass auch das BKA die leicht umgehbare DNS-Sperre inzwischen als Methode der Wahl bezeichne. Noch vor zwei Jahren seien in Wiesbaden Versuche mit Blockaden gemacht worden, die auf Hashwerten kinderpornographischer Bilder basiert hätten und deutlich schwieriger zu umgehen gewesen wären. Auch hybride Verfahren (DNS-Sperre über einen Proxy-Server) bezeichnete Federrath als griffigere Ansätze. Diese seien aber deutlich aufwändiger umzusetzen und würden deutlich höhere Kosten provozieren.

Oliver Süme, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, bezifferte die Anschaffungskosten für eine DNS-Sperre bei einem größeren Provider mit etwa 800.000 Euro. Hauptproblem bei einer rein vertraglichen Lösung sei aber, dass dabei eine Reihe von Grundrechten der Nutzer betroffen wären. Diese seien nicht durch eine AGB-Änderung abzudecken. Es komme daher nur eine gesetzliche Regelung in Frage. Auch von der Leyen will eine solche parallel zu der Selbstverpflichtung der Provider noch rasch vor dem Ende der Legislaturperiode im Sommer über die Bühne bringen und dafür das Telemediengesetz (TMG) ändern.

Süme bestand dagegen auf einem Spezialgesetz, da im TMG die Haftungsfreistellungen von Zugangsanbietern im Einklang mit EU-Vorgaben "fein austariert" seien und nicht aufgeweicht werden dürften. Nur in einem eigenen Gesetz sei es ferner möglich, allen anderen Wünschen an Web-Blockaden eine Absage zu erteilen. Angesichts von Rufen etwa der Rechteinhaber oder der Länder nach Sperren im Kampf gegen Urheberrechtsverstöße oder illegales Glücksspiel dürfe sich die Politik nichts vormachen: "Wenn wir einmal inhaltsneutrale Technik etabliert haben, ist es nur ein Frage der Lautstärke der Interessengruppen, bis eine Ausweitung erfolgt." Weiter sei zu beachten, wie tief die letztlich ins Auge gefassten Maßnahmen in die Infrastrukturen oder das Netz eingreifen.

Als größten Kollateralschaden der vorgeschlagenen Filteransätze bezeichnete es Süme, wenn die schwarze Liste – wie in skandinavischen Ländern oder in Thailand – unfreiwillig öffentlich gemacht würde. Dies käme einer "kostenlosen PR-Kampagne" für die schwerkriminellen Anbieter gleich. Generell könnten Sperren so höchstens "Ultima ratio"-Mittel sein, um die Bemühungen zur Ergreifung der Täter und zum Entfernen der Inhalte aus dem Internet zu flankieren.

Weitere Einblicke in die schwierige Situation der Provider gewährte den Abgeordneten Dieter Frey, einer der Autoren eines kritischen Gutachtens zu Web-Blockaden des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Von den Sperren könnten seiner Ansicht nach tiefe Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit der Nutzer, die Presse- und Kunstfreiheit sowie die Berufsfreiheit und Eigentumsrechte der Zugangsanbieter ausgehen. Darin seien sich Rechtsexperten einig. Umstritten zwischen ihm und den Verfassern einer Studie im Auftrag der KJM sei allein die Frage, ob eine DNS-Sperre auch bereits in das Fernmeldegeheimnis einschneide. Seiner Meinung nach stellt bereits die Anfrage an einen DNS-Server eine Telekommunikation dar und die Umleitung auf eine Stopp-Seite komme einer Manipulation gleich. Daher sei eine gesetzliche Regelung unausweichlich, die zumindest rechtsstaatliche Verfahrensgarantien wie die Kontrolle der BKA-Liste durch einen Richter oder ein Prüfgremium einführe.

Guido Brinkel vom Branchenverband Bitkom warnte ebenfalls davor, Provider allgemeine Überwachungspflichten aufzunötigen. Dabei komme es auf die Sperrmethode an, inwieweit für eine Blockade der Datenverkehr der Nutzer durchleuchtet werden müsse. Auch Brinkel ging davon aus, dass bei einer DNS-Lösung zumindest Umstände der Kommunikation von den Zugangsvermittlern mit zu berücksichtigen seien. Dabei handle es sich vor allem um die Erfassung der IP-Adresse der Nutzer. Die Provider könnten höchstens die Rolle eines rein technischen Dienstleisters einnehmen und dürften im Prinzip nicht einmal die Inhalte auf der Filterliste mitbekommen.

Friedemann Schindler von der eng mit der KJM kooperierenden Einrichtung Jugendschutz.net beklagte unterdessen die Debatte um die Wirksamkeit des "Access Blocking". Er verstehe nicht, warum ein technisches Mittel nicht genutzt werde, wenn es für "60 oder 70 Prozent" der Nutzer den Zugang zu Kinderpornographie erschwere. Der "Hardcore-Pädophile" werde zwar weiter etwa direkt in Filesharing-Netzwerken nach dem begehrten Material suchen. Dies dürfe aber keine Begründung dafür sein, dass nichts unternommen werde. Schließlich seien nur etwa 20 Prozent der Konsumententypen Hardcore-Nutzer. (Stefan Krempl) / (pmz)