Eurathlon: "Hoffentlich müssen wir die Roboter nie einsetzen“

Michael Gustmann ist in diesem Jahr Juryvorsitzender beim Eurathlon, dem Wettbewerb für Rettungsroboter. Im Interview spricht er über verlässliche Technik und seine Skepsis gegenüber Autonomie.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Eurathlon-Juror Michael Gustmann begutachtet die Leistungen eines Roboters.

Michael Gustmann von der Kerntechnischen Hilfsdienst GmbH (KHG) ist in diesem Jahr Juryvorsitzender beim Eurathlon, dem am Montag eröffneten Wettbewerb für Rettungsroboter. Mit heise online spricht er über verlässliche Technik, seine Skepsis gegenüber autonomen Robotern und die Hoffnung, die Rettungsroboter nie einsetzen zu müssen.

heise online: Herr Gustmann, als Zuschauer waren Sie in den letzten Jahren regelmäßig bei den Elrob-Veranstaltungen zu sehen. Wie sind Sie jetzt zum Juryvorsitzenden geworden?

Gustmann: Im Unterschied zur Elrob, die abwechselnd militärisch und zivil geprägt war, hat dieser Eurathlon hat ja eine zivile Ausrichtung. Da war es den Organisatoren ein Anliegen, Jurymitglieder zu finden, die in zivilen Organisationen Fernhantierungstechnik und Robotersysteme anwenden und entsprechendes Wissen mitbringen. Die KHG betreibt selbst einen Gerätepark mit etwa 12 verschieden großen Robotern, daher kann ich die Leistungen der Teams für die hier gestellten Aufgaben ganz gut beurteilen.

heise online: Die KHG dürfte hinsichtlich des Einsatzes von Robotern in Rettungsszenarien eine der erfahrensten Institutionen sein, oder?

Gustmann: Wenn Sie Erfahrung an der Zeit messen, die wir uns schon mit dem Thema beschäftigen, dann ist da was dran. Die Kerntechnik in Deutschland ist eigentlich der Urheber für Roboteranwendungen in Bereichen, die dem Menschen aufgrund der Umgebungsbedingungen nicht zugänglich sind. So hat man sich schon beim Aufbau der kerntechnischen Anlagen über Notfallschutz Gedanken gemacht und sich Verfahren überlegt, wie sich ohne den Vor-Ort-Einsatz von Menschen bestimmte Szenarien bereinigen lassen. So ist es dazu gekommen, dass schon in den 1960er-Jahren im damaligen Forschungszentrum Karlsruhe Manipulatorfahrzeuge entwickelt wurden, die den Hilfsdiensten auf dem Gelände des Forschungszentrums zur Verfügung standen. Wir haben das Thema dann immer weiter vertieft, sind inzwischen breit aufgestellt, und auch andere Anwender wie Werkfeuerwehren der chemischen Industrie, öffentliche Feuerwehren, aber auch polizeiliche Anwender haben für ihre Arbeiten viele Systematiken übernommen, um die Einsatzkräfte nicht der unmittelbaren Gefahr auszusetzen.

heise online: Wie sieht es mit der realen Erfahrung aus? Gab es kerntechnische Störfälle, bei denen Roboter zum Einsatz kamen?

Gustmann: Zu den Gesellschaftern der KHG in Deutschland zählen über 40 kerntechnische Anlagen, neben Kraftwerken auch Forschungs- und Lagerstätten. Seit Bestehen der KHG gab es dort nie einen heißen Einsatz, der die Störfallintervention erfordert hätte. Es gab aber durchaus vorher vereinbarte Serviceaktivitäten, die zur Aufklärung bestimmter Situationen durchgeführt wurden. Daneben gab es Anforderungen aus dem Ausland, so sind Geräte der KHG 1986 in Tschernobyl eingesetzt worden und nach dem Ereignis in Fukushima hat es einen sehr engen Austausch mit den japanischen Stellen gegeben, ohne dass es dort zu einem Einsatz deutscher Technik gekommen wäre.

heise online: Während Eurathlon auf möglichst realistische Testszenarien setzt, arbeitet der Wettbewerb RoboCup Rescue mit künstlicheren Umgebungen, die aber exakt reproduzierbar sind. Wo verorten Sie sich zwischen diesen beiden Polen?

Gustmann: Ich denke, die beiden Ansätze ergänzen sich. Man darf natürlich nicht den Versuch aufgeben, ein Szenario möglichst gut zu definieren und realistische Anwendungen durchzuspielen. Für den direkten Vergleich ist es aber sicherlich auch sehr hilfreich, wenn man eine definierte, fest umrissene und einfach strukturierte Aufgabe vergleichsweise mit mehreren Geräten durchführt. Die standardisierten Testverfahren, die US-Kollegen hier am Sonntagabend vorgestellt haben, halte ich für eine gute Möglichkeit, zumal wir ja in der Szene „Robotik für Rettungseinsätze“ immer die Schwierigkeit haben, dass sich die tatsächlich zu lösende Aufgabe im voraus gar nicht genau beschreiben lässt.

heise online: Bei der Eröffnung des Eurathlon wurde betont, dass die Entwicklung kognitiver Robotik und autonomer Funktionen vorangetrieben werden soll. Das könnte den Operator entlasten, vermehrt aber auch die Fehlermöglichkeiten. Was halten Sie davon?

Gustmann: Den einen Aspekt unterschreibe ich sofort. Die Unterstützung des Bedieners ist erforderlich. Bei der Autonomie eines Systems sehe ich dagegen große Gefahren, weil wir eben sehr unvorhersehbare Situationen vor uns haben, die keine Planung zulassen. Der Bediener muss also über die an Bord befindliche Sensorik oder über ein System, das das eigentliche Einsatzgerät begleitet, möglichst gute Informationen über den Zustand vor Ort erhalten und bei der Ausführung seiner Handlungen unterstützt werden. Wir haben grundsätzlich den „man in the loop“, also den Bediener als ausführende Person an den Joysticks, der jede Bewegung ausführt. Wir lassen das Gerät nicht allein und autonom agieren.

heise online: Grundsätzlich stehen Sie der Autonomie aber eher zurückhaltend gegenüber?

Gustmann: Ja, weil es auch eine Frage der Verantwortung ist. Wer ist letztlich verantwortlich für eine bestimmte Bewegung des Geräts? Da möchten wir eine Person und bei besonders kniffligen Fragen sogar ein Gremium für die Entscheidung haben und nicht einen Automatismus in der Steuerung des Fahrzeugs.

heise online: Wo sehen Sie vielversprechende Entwicklungen in der Rettungsrobotik?

Gustmann: Ich denke, dass man in der Kombination verschiedener Bewegungsmöglichkeiten der einzelnen Achsen des Systems noch Fortschritte machen kann. In der Ausstellung ist hier ja auch ein Räum- und Bergegerät zu sehen, das beim Technischen Hilfswerk gerade erprobt wird und das sehr vielfältige Bewegungen der vier Beine und des baggerähnlichen Manipulators erlaubt.

heise online: Was wünschen Sie sich im Bereich Rettungsrobotik?

Gustmann: Ich wünsche mir zuallererst, dass sie nie eingesetzt wird. Es ist aber eine Beruhigung, eine leistungsfähige Szene zu haben, die sich um Weiterentwicklung, Training und Anwendung bemüht. Da ist bei der Sensorik und den Bewegungsmöglichkeiten der Arme sicherlich immer noch viel zu tun. Es ist eingebaut in diese Veranstaltung, dass Ventilbewegungen nach einem Chemieunfall gefordert sind, ebenso Bergung von Behältern mit Flüssigkeit. Da sehen wir ganz aktuell noch, dass die Möglichkeiten eines ferngesteuerten Handhabungssystems doch immer noch weit zurückstehen hinter den Möglichkeiten, die ein Mensch mit zwei Armen hat. Aber davon werden wir meiner Einschätzung nach immer sehr weit entfernt sein und können uns nur ganz langsam annähern.

heise online: Sie sagen „immer“. Das heißt, wir werden es nie erreichen?

Gustmann: So ist meine Einschätzung. Versuchen Sie nur, die Intelligenz einer Ameise in einem gleich großen technischen System abzubilden. Das ist...nun ja, schwierig. (axk)