Werbung in Wikipedia: Angriff der Sockenpuppen

Wikipedia-Administratoren haben über 300 Fake-Accounts entlarvt. Dahinter stecken soll eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, Wikipedia-Artikel gegen Bezahlung zu erstellen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Administratoren der Wikipedia haben das bisher größte Netzwerk von Fake-Accounts aufgedeckt, mit dem Werbung in die Online-Enzyklopädie gebracht wurde. Über 300 Accounts wurden bereits als "Sockenpuppen" entlarvt. Dahinter stecken soll eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, Wikipedia-Artikel gegen Bezahlung zu erstellen.

Das Werbe-Netzwerk in der Wikipedia war bereits im vergangenen Jahr aufgefallen, als unter einem Account namens "Morning277" auffällig werbehafte Einträge in der Online-Enzyklopädie auftauchten. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales persönlich leitete bereits 2012 die Löschung eines solchen Artikels ein, worauf sich der vorgeblich nach bestem Wissen handelnde Autor zurückzog.

Doch im Juli dieses Jahres fiel einem Administrator dann auf, dass ein ähnlich werblicher Artikel von einer auffallenden Anzahl anderer Accounts unterstützt wurde. Er leitete eine "Checkuser"-Überprüfung ein, bei der die Zugangs-Logs von Wikipedia nach Indizien für Accountmissbrauch durchsucht werden. Aus fünf Verdachtsfällen wurden schnell über hundert, ein Ende ist nicht abzusehen.

Die Mitglieder des Netzes setzten viele Tricks ein, um die Qualitätsstandards der Wikipedia zu unterlaufen. So wurde die Relevanz der Artikel mit Links auf die Angebote von CNN oder Huffington Post unterlegt – doch statt redaktioneller Erwähnungen fanden die Leser hier ebenfalls werbliche Einträge, die auf den für jedermann offenen Bereichen der Portale zu finden waren oder Artikel, die sich gar nicht mit der jeweiligen Firma beschäftigten. Die Wikipedia-Artikel tauchten auch nicht in den Listen über Neuzugänge in der Wikipedia auf, die von Wikipedia-Administratoren routinemäßig kontrolliert werden. Der Trick hier: Die Fake-Nutzer legten die Artikel zunächst auf ihren Nutzerseiten an und verschoben sie dann in den enzyklopädischen Part der Plattform.

Hinter dem Netzwerk stecken soll die Firma Wiki-PR, die nach Recherchen von The Daily Dot zwischen 500 und 1000 Dollar für eine solche Seite verlangte. Hinzu kam noch eine monatliche Gebühr für das "Monitoring" und die eventuelle Wiederherstellung eines gelöschten Artikels. Gefunden hat die Firma ihre Klienten über eine Spam-Kampagne, bei denen Firmen oder Einzelpersonen versprochen wurde, dass zu ihnen eine prestigeträchtige Wikipedia-Seite erstellt wird. Als Autoren beschäftigt die 2011 gegründete Firma Freiberufler, die gegen ein geringes Stundenentgelt Artikel schreiben oder gegen die Löschung von Artikel stimmen.

Während Jimmy Wales bezahlte Schreiber gänzlich von Wikipedia ausschließen will, gibt es moderatere Stimmen, die lediglich fordern, dass die Firmen mit offenen Karten spielen und sich an die Wikipedia-Regeln halten sollen. So gibt es in der deutschen Wikipedia eine eigene Kategorie für verifizierte Nutzer, die zumeist aus Accounts für Firmen und Institutionen besteht, die Artikel über sich selbst erstellen oder korrigieren wollen. Wikimedia Deutschland finanziert zur Zeit ein Projekt, das den Umgang mit bezahltem Schreiben erforschen und Richtlinien finden soll, wie mit dem Konflikt zwischen PR-Arbeit und dem Anspruch der Wikipedia auf neutrale Information umgegangen werden soll. (anw)