Algorithmen übernehmen unsere Jobs

Schon immer haben Maschinen Jobs vernichtet. Früher waren das die einfachen oder unangenehmen Arbeiten. Doch nun ersetzen sie zunehmend auch Geistesarbeiter. Frank Rieger und Constanze Kurz im Interview zu ihrem neuen Buch "Arbeitsfrei".

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Schon immer haben Maschinen Jobs vernichtet. Früher waren das die einfachen oder unangenehmen Arbeiten. Doch nun ersetzen sie zunehmend auch Geistesarbeiter. Frank Rieger und Constanze Kurz im Interview zu ihrem neuen Buch "Arbeitsfrei, Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen werden".

Frank Rieger und Constanze Kurz, beide bekannt als Buch-Autoren und Sprecher des Chaos Computer Clubs, haben sich auf eine "Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen" begeben. Mit ihrem neuen Buch wollen sie nicht nur ein systematisches Bild der Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt zeichnen, sondern auch eine dringend fällige Diskussion anstoßen.

Technology Review: Wie groß wird die nächste Rationalisierungswelle? Werden wir nun alle durch Maschinen ersetzt?

Frank Rieger: Wir waren tatsächlich ein bisschen überrascht darüber, wie krass die Lage ist, und wie schnell die Technologiewellen rollen. Dass wir alle ersetzt werden, ist unwahrscheinlich. Aber dass viel mehr Leute ersetzt werden, als sie so glauben, ist sehr wahrscheinlich.

TR: Wo ist denn die Lage besonders "krass"? In welchen Bereichen?

Rieger: In allen Bereichen, wo sich Arbeit quantifizieren, digitalisieren und analysieren lässt. In dem Moment wird diese Arbeit zu einem Billiglohn-Job, der von sehr vielen Menschen gemacht werden kann. Und die sind relativ gut und einfach zu ersetzen. Man kann das nicht auf Branchen eingrenzen.

Constanze Kurz: Mein Eindruck ist, dass die Robotisierung, die man ja beobachten kann, wenn man in eine Fabrik geht, vielen Menschen gewahr ist. Im Bereich der kognitiven Tätigkeiten, der klassischen Geistesarbeit, ist diese Automatisierung allerdings weniger sichtbar. Aber natürlich ist klar, dass es auch da Ersetzungen geben wird. Computer können schneller rechnen, können Sensordaten besser verarbeiten. Das betrifft auch Bereiche wie zum Beispiel den Journalismus, wo man keine Automatisierung vermutet hätte. Auch die sind durch schlaue Algorithmen bedroht. Wobei ich das nicht nur als Bedrohung sehen würde, sondern durchaus auch als Chance.

TR: Bleiben wir aber erst mal bei den Robotern. Die Autoindustrie ist ja ein klassisches Beispiel für die Automatisierung. Wenn man sich die Zahl der Beschäftigten von 1970 bis heute ansieht, dann ist das eine S-Kurve. Die ist mit der Robotisierung in den 80er Jahren nach unten gegangen. Aber heute ist sie höher als 1970. Wo ist also das Problem?

Rieger: Das Problem besteht darin, dass die Technologiewellen schneller laufen als früher. Wir haben eine Situation, in der die Geschwindigkeit der Technologiewellen, mit denen Leute ersetzt werden, die gar nicht damit rechnen, immer größer wird.

Nehmen wir mal das mittlere Management in Großkonzernen – der Einkauf. Die sind die nächsten, die dran sind. Weil viele ihrer Tätigkeiten durch Software ersetzbar sind. In dem Moment, in dem ich einen Rahmenvertrag habe, kann ich den restlichen Einkauf über Edifact oder verwandte Software-Protokolle abwickeln. Da brauche ich keine Leute mehr, die Papier hin- und herschieben.

Oder nehmen wir die Banken. Dort hat es den Arbeitsplatzabbau nicht gegeben, weil einzelne Tätigkeiten wegrationalisiert worden sind. Sondern weil sich die komplette Art und Weise wie das Banking betrieben wird, geändert hat. Das bedeutet, dass von solch einer Umstellung plötzlich sehr viele Leute betroffen sind.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. In dem Augenblick, in dem autonomes Fahren gut funktioniert, sind plötzlich 500.000 – 800.000 Menschen arbeitslos, die jetzt auf den Fernfahrerböcken sitzen. Die Übergangsphase beträgt nur drei bis fünf Jahre, weil es so lange dauert, bis in Deutschland die LKW-Flotten erneuert werden. Und keine drei Jahrzehnte wie früher.

Natürlich kann es sein, dass vollkommen neue Arbeitsplätze entstehen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Aber zum einen tendieren die dazu, prekär zu sein. Schauen Sie sich die ganze Internet- und Social-Media-Branche an. Sie tendieren dazu, weniger langfristig zu sein. Und es dauert natürlich, bis diese Arbeitsplätze entstehen. Dazwischen gibt es Löcher, wo Leute, die die falsche Ausbildung hatten, erleben, dass ihre Fertigkeiten wertlos geworden sind. Wenn man mit der Bundesanstalt für Arbeit spricht und sie fragt, was sie dagegen unternimmt, dann sagen die übrigens auch nur: Wir fliegen auf Sicht.

TR: Aber wenn ich heute irgendeine Hotline anrufe, lande ich doch eher bei einem Callcenter in Indien als bei einem Computer. So gut sind die Algorithmen offenbar doch noch nicht, oder?

Kurz: Die Frage ist, und ob das wirklich so bleiben wird, oder ob wir uns womöglich in einer Übergangsphase befinden.

Rieger: Es weist eigentlich alles drauf hin, dass es nicht so bleiben wird. Die Abwicklung von Standardgeschäftsprozessen durch Software wird tendenziell billiger werden als ein Callcenter-Agent in Indien. Einfach weil die Rechenzeit immer billiger wird.

Und wenn man den Leuten im Callcenter über die Schulter schaut, sieht man, dass die in vielen Fällen Skripte von Computern abarbeiten. Die sind nichts weiter als das Sprachinterface für die Software. Die selektieren auf dem Bildschirm die Art des Problems. Dann bekommen sie eine Liste mit potenziellen Fragen, aus der sie auswählen. Und die Antworten führen zu neuen Fragen. Alles skriptgesteuert. Deswegen funktioniert das ja. Nur deswegen kann man solche Geschäftsprozesse nach Indien auslagern.

TR: Aber die Algorithmen, so gut sie auch sein mögen, liegen doch nicht immer richtig.

Kurz: Es muss ja nicht fehlerfrei sein. Nur gut genug. Damit spart man schon eine Menge Leute.

TR: Aber Menschen haben doch immer noch einen kognitiven Vorteil. Sie können improvisieren. Und sie können mit uneindeutigen Situationen umgehen.

Rieger: Ja, schon. Aber dafür brauchen sie nicht alle. Bereits jetzt arbeiten über 20 Prozent aller Menschen in Deutschland in prekären Arbeitsverhältnissen. Der Grund ist, dass ihre Talente eigentlich nicht mehr gebraucht werden. Wir sagen ja nicht, dass alle Menschen durch Maschinen ersetzt werden. Aber mehr und für längere Zeiträume, als die meisten annehmen.

Kurz: Das ist der zentrale Punkt. Dass es auch um Bereiche geht, wo sich heute Leute in zukunftssicheren Jobs wähnen. Das Buch liefert keine Antworten auf alle Fragen. Aber ich glaube, es liefert Denkanstöße – Punkte, an denen man einhaken sollte und die man nicht mehr einfach ignorieren darf.

TR: Sie zeichnen also ein relativ düsteres Szenario?

Kurz: Zwangsläufig negativ ist das aus meiner Sicht nicht. Es gibt ja Beispiele aus der Vergangenheit, wo Technologie auch positive Aspekte hatte. Dass man weniger hart arbeiten muss, dass man die Arbeitszeit reduzieren kann, und so weiter. Die Frage ist, wie man den technischen Wandel steuern kann.

TR: Und wie soll das gehen?

Rieger: Es kann eigentlich nur darum gehen, dass wir die Produktivitätsgewinne, die wir durch die Automatisierung bekommen, umverteilen.

TR: Durch eine Robotersteuer?

Rieger: Das wird nicht funktionieren, weil die Art und Weise, wie Produktivitätsgewinne gemacht werden, sich nicht an einer individuellen Maschine festmachen lässt. Wie berechnet man den Effekt von einem neuen Software-Modul, das zwei Abteilungen überflüssig macht? Das geht nicht so einfach.

Wir sind da nicht dogmatisch. Wir sagen nur, dass wir einen Weg finden müssen. Um den Leuten, die ersetzt worden sind, eine faire Chance zu bieten. Und nicht einfach nur zu sagen: Du hast halt Pech gehabt. Tschüss.

Kurz: Und es gibt noch einen anderen Grund. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es bei solchen Rationalisierungswellen eine heftige Stimmung gegen Maschinisierung und Digitalisierung gibt. Ich denke, das muss man verhindern. Denn Technik kann für sehr viel Wohlstand für viele sorgen. Man muss aber den technischen Wandel gestalten.

TR: Aber wer soll das machen? Wo ist die entsprechende gesellschaftliche Kraft?

Rieger: Klassischerweise ist das die Aufgabe der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Die befindet sich aber immer noch in ihrem 70er-Jahre-Dornröschenschlaf. Wir hoffen mal, dass es da einen Prozess des Aufwachens gibt.

Kurz: Mir wäre aber auch schon wichtig, dass auch die anderen Parteien eine Position dazu entwickeln. Damit es einen Wettbewerb von Ideen gibt. Die Parteien haben wir nun mal als Mittel, um den politischen Prozess zu gestalten. Ob man die nun mag oder nicht. (wst)