Keine Aktion des EU-Parlaments gegen "Synchronisationswut" bei ARD und ZDF

Das EU-Parlament fordert angeblich die Kommission zu einem Gesetzesvorschlag auf, nach dem öffentlich-rechtliche Fernsehsender in der EU künftig alle Sendungen im Original mit Untertiteln ausstrahlen müssen - was sich aber als Fehlinterpretation erweist.

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Von
  • Nico Jurran

Es klingt wie ein verspäteter Aprilscherz: Unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AFP berichten aktuell mehrere deutsche Medien, dass das EU-Parlament die EU-Kommission auffordere, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in der EU verpflichte, Fernsehfilme "nur noch im Original mit Untertiteln" auszustrahlen. Auch eine Rede von US-Präsident George W. Bush in der Tagesschau würde danach angeblich im Original gezeigt werden müssen. Stutzig hätte man jedoch bei der angeblichen Begründung für diese Aktion "gegen die Synchronisierwut" (RP-Online) werden können: So trügen Originalversionen laut Beschlusstext nicht nur zum Lernen von Fremdsprachen bei, sondern "seien auch besser für Schwerhörige oder Taube".

Auf Rückfrage von heise online erklärte der deutsche Presseattaché des EU-Parlaments Jens Pottharst nun jedoch, dass es in der sogenannten "schriftlichen Erklärung" der Abgeordneten Lidia Joanna Geringer de Oedenberg lediglich um die (deaktivierbare) Untertitelung aller öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme in der EU ginge. Tatsächlich wird in der Erklärung, die heise online vorliegt, lediglich die Ansicht vertreten, dass die Untertitelung aller öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme in der EU unerlässlich ist, um zu gewährleisten, dass alle Zuschauer, einschließlich der Gehörlosen und der Schwerhörigen, Zugang zum vollständigen Programmangebot haben. In Europa sind derzeit über 83 Millionen Menschen von einem vollständigen oder teilweisen Hörverlust betroffen; dieses Problem wird sich in der alternden europäischen Bevölkerung noch weiter verschärfen.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen habe nach Ansicht der EU-Politikerin eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen, die unter anderem darin bestünde, seine Zuschauer zu informieren und zu bilden. Die BBC geht hier mit gutem Beispiel voran: Der Sender hat sich verpflichtet, ab April 2008 sein gesamtes Programmangebot zu untertiteln. In den USA sind selbst Untertitelungen von Live-Programmen an der Tagesordnung. Die schriftliche Erklärung soll heute verlesen werden. Das EP-Geschehen lässt sich per Live-Webstream (in allen 23 Amtssprachen) verfolgen.

Eine schriftliche Erklärung ist laut EU-Recht ein Text mit einem Umfang von höchstens 200 Wörtern zu einer Angelegenheit, die den Tätigkeitsbereich der Europäischen Union betrifft. Die europäischen Abgeordneten können auf schriftliche Erklärungen zurückgreifen, um eine Debatte zu einer Angelegenheit aus dem Tätigkeitsbereich der Union herbeizuführen oder erneut aufzugreifen. Zur Einreichung einer schriftlichen Erklärung schlägt eine Gruppe von (höchstens fünf) Abgeordneten ihren Kollegen vor, durch ihre Unterschrift einen Text anzunehmen. Erhält die schriftliche Erklärung die Unterschriften der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments, so wird sie dem Präsidenten übermittelt, der dies im Plenum mitteilt. Eine derartige Erklärung wird am Ende der Tagung mit Angabe der Namen der Unterzeichner an die angegebenen Institutionen übermittelt. Sie wird ins Protokoll der Sitzung aufgenommen, in der sie bekannt gegeben wird. Mit dieser Veröffentlichung ist das Verfahren abgeschlossen. (nij)