NSA-Affäre: Lauschangriff auf Merkel sorgt für Aufruhr in Berlin

Die Berichte, Angela Merkels Handy sei von US-Geheimdiensten überwacht worden, hat in Berlin für mehr Wirbel gesorgt, als alle NSA-Enthüllungen der vergangenen Monate. Die Bundesregierung gibt sich schockiert und fordert Konsequenzen.

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Hatte sich die Bundesregierung lange geweigert, die Ausmaße des NSA-Skandals anzuerkennen, sind die Auswirkungen der neuesten Enthüllung nun umso größer. Berichte, das Handy der Bundeskanzlerin sei von US-Geheimdiensten ausspioniert worden, sorgen derzeit für Aufruhr in der Bundesrepublik und darüber hinaus. So hat sich die Bundesanwaltschaft wieder der Affäre angenommen, die Kanzleramtsminister Pofalla (CDU) wohl etwas voreilig schon für beendet erklärt hatte.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat den US-Botschafter einbestellt und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) laut Spiegel Online von den USA eine Entschuldigung verlangt. Verteidigungsminister Thomas de Maizière meint, solch eine Überwachung wäre "wirklich schlimm" und Justizminister Sabine Leutheuser-Schnarrenberger hat getwittert: "Der neue Verdacht sprengt alle Dimensionen."

Kurz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel hat sich dann auch die Bundeskanzlerin selbst zu Wort gemeldet und gesagt: "Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht". Das berichtet der Spiegel und fügt hinzu, die Kanzlerin habe auch gesagt, solch ein Ausspähen sei unter Freunden niemanden gegenüber legitim und das gelte für jeden Bürger sowie jede Bürgerin in Deutschland. "Dafür bin ich als Bundeskanzlerin auch verantwortlich, das durchzusetzen."

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte die offizielle Reaktion: "Es ist nicht nur empörend, wenn Frau Merkel abgehört wird, sondern auch, wenn Bürgerinnen und Bürger abgehört werden." Führten Union und SPD nicht gerade Koalitionsverhandlungen, hätte er sich vielleicht wie die oppositionelle Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt stärker empört, dass die Regierung mit zweierlei Maß messe: zwischen Datenschutz für Bürger und für die Kanzlerin. Denn erst jetzt glühe der Draht zu Obama, schimpft die Grünen-Politikerin. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisierte, dass diese deutliche Reaktion nun erst erfolge, nachdem klar wurde, dass die Regierungschefin persönlich betroffen ist.

Sollten die Hinweise auf die Spionage gegen Angela Merkel zutreffen – und derzeit deutet vieles darauf hin –, stellt sich die Frage nach dem Warum. Eine Begründung für die Spionage gibt es nicht. Denn die Kanzlerin und die Bundesrepublik sind Partner der USA, keine Gegner. Merkel würde sicher keine Politik betreiben, die das gewachsene und so wichtige transatlantische Verhältnis gefährden würde. Und ob US-Präsident Barack Obama eine Erklärung oder Aufklärung dafür liefern wird, gilt als ungewiss.

Noch heute wartet die Bundesregierung auf aussagekräftige Antworten aus Washington auf ihre Fragen zu den Hinweisen im Sommer, ob millionenfach Telekommunikationsdaten deutscher Bürger durch den US-Geheimdienst NSA ausgespäht wurden. Eine Delegation des Innenministers wurde in Washington zwar freundlich empfangen, kam aber mit ziemlich leeren Händen zurück. Nun soll kommende Woche noch einmal eine offizielle Delegation in die USA reisen.

Dem US-Präsidenten mag die Affäre im eigenen Land wenig anhaben. Das Interesse der US-Bürger daran ist gering. Doch um ihn herum in der Welt wächst das Misstrauen und daran kann er kein Interesse haben. Nacheinander haben sich Frankreich, Mexiko, Brasilien und nun Deutschland über Spähattacken von US-Diensten bei ihm beschwert. Was muss jetzt geschehen? Beweise, dass es keine Überwachung gab? Eine Entschuldigung? Dazu schweigt das Kanzleramt erst einmal.

Den ganzen Tag über wurde spekuliert, welches Handy der Bundeskanzlerin überwacht wurde. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung nutzte die Kanzlerin ein Gerät, das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nicht als abhörsicher eingestuft worden war. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wiederum berichtete, das Handy sei angezapft worden, das Merkel als Vorsitzende der CDU nutzt – für parteiinterne aber auch nicht parteigebundene Kommunikation. Sicherheitsbehörden seien inzwischen weitgehend sicher, dass es zumindest zeitweilig zu Zugriffen gekommen war

Nach Informationen der dpa nutzte Kanzlerin Merkel noch bis in den Bundestagswahlkampf hinein ein Nokia 6210 Navigator als Dienst-Handy. Bei diesem Gerät waren wohl alle Funktionen bis auf das Telefonieren sowie das Senden und der Empfang von SMS ausgeschaltet. Ob dieses Mobiltelefon über spezielle Verschlüsselung verfügte, ist nicht klar.

Dieses Merkelsmartphone kann Berufliches...

(Bild: Telekom)

Als Nachfolgemodelle hat das BSI sowohl ein modifiziertes Samsung Galaxy S3 von T-Systems als auch ein Blackberry Z10 mit Sicherheitssoftware der Düsseldorfer Firma Secusmart zertifiziert. Beide Geräte nutzen Verschlüsselung und sind vom BSI für die niedrigste Sicherheitsstufe VS-NfD (Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch) zugelassen. Allerdings ist momentan nicht bekannt, ob eines dieser Geräte von der Kanzlerin schon benutzt wird. Auf eine Anfrage von heise Security hat weder das Kanzleramt noch das BSI bislang reagiert.

...vom Privaten trennen.

(Bild: Telekom)

Secusmart-Gründer Hans-Christoph Quelle gab gegenüber dem Guardian zu Protokoll, dass es nicht denkbar sei, dass die Verschlüsselung des aktuellen Handys der Kanzlerin geknackt worden sei. Man benötige aber ein sicheres Telefon an beiden Enden der Leitung, um ein verschlüsseltes Gespräch zu führen. Mit dem Secusmart-Gerät wäre auch ein unsicherer Kommunikationsmodus möglich. Er könne deswegen nicht ausschließen, dass die Kanzlerin auch unverschlüsselte Gespräche geführt habe. Zumal es denkbar ist, dass die angeblich abgehörten Gespräche der Kanzlerin auch mit einem anderen Gerät als dem offiziellen Diensthandy geführt worden sind.

[Update 24.10.2013 18:58]:

Secusmart gab inzwischen eine eigene Erklärung heraus, in der die Firma noch einmal betont, dass das von ihr entwickelte sichere Telefon auf Basis des Blackberry Z10 nicht betroffen sei: !Wie es scheint, wurde der Bundeskanzlerin zum Verhängnis, dass sie – wie viele Persönlichkeiten in Führungspositionen – mehrere Handys für die Kommunikation mit unterschiedlichen Partnern nutzen muss. Die Hochsicherheitslösung von Secusmart für die sichere Kommunikation innerhalb der Regierung ist nicht betroffen", hieß es dazu. "Wir erfüllen höchste technische Standards. Für unverschlüsselte Telefonate, SMS oder auch E-Mails können wir natürlich nicht garantieren", meinte Hans-Christoph Quelle. (fab) / (mho)