Hauchdünne Mehrheit für Verschärfung des Berliner Polizeigesetzes

Die rot-rote Koalition in Berlin hat die heftig umstrittene Novelle des Landespolizeigesetzes und die damit verknüpfte Ausdehnung der Videoüberwachung und Handy-Ortung mit einer Stimme Mehrheit verabschiedet.

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Die rot-rote Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus hat die heftig umstrittene Novelle des Landespolizeigesetzes mit einer Stimme Mehrheit verabschiedet. Kern der Reform des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) ist die Ausdehnung der Möglichkeiten zur Videoüberwachung und zur Handy-Ortung. Bei der namentlichen Abstimmung über die Verabschiedung des umstrittenen Polizeigesetzes votierten 74 der Parlamentarier mit Ja und 73 mit Nein. Zwei Abgeordnete der Linken enthielten sich. Die rot-rote Koalition verfügt im Berliner Landesparlament über insgesamt 76 Stimmen, sodass sie haarscharf an ihrer ersten Niederlage vorbeischrammte. Die drei Oppositionsfraktionen CDU, FDP und Grüne lehnten den Gesetzentwurf ab.

Das Votum war bis zuletzt heftig umkämpft. Die Hauptkritikerin der Linken an dem Vorhaben, Evrim Baba, hatte gestern noch betont, ihre Bedenken gegen die Verschärfung der Polizeibefugnisse seien nicht geringer geworden. Zuvor hatte sich am Dienstag noch der Berliner Anwaltsverein zu Wort gemeldet hatte: Die Juristen bezweifeln die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs, welcher der Polizei einen weit reichenden Zugriff auf Videobilder der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und anderer privater Stellen erlaubt. Zudem sollten Beamte, die Verkehrskontrollen durchführen, aus ihren Fahrzeugen heraus filmen dürfen. Diese Videoaufnahmen zur "Eigensicherung" der Beamten sahen die Anwälte besonders kritisch, da unbeteiligte Dritte oder zufällig vorbeigehende Spaziergänger von dieser Überwachung erfasst würden. Auch eine massive Ausweitung der Videoüberwachung bei Großveranstaltungen ohne Anhaltspunkte für das Begehen von Straftaten sei nicht hinnehmbar.

Die Humanistische Union hatte am heutigen Vormittag ebenfalls noch einmal an die Abgeordneten appelliert, den Vorstoß nicht abzusegnen. Laut der Bürgerrechtsorganisation hat sich gemäß den Ergebnissen des Pilotprojektes zur 24-Stunden-Videoaufzeichnung in Berlin die bisherige Praxis der Videoüberwachung bei der BVG nicht bewährt. Sie sollte deshalb einer kritischen Prüfung unterzogen werden, bevor über ihre Verlängerung oder gar Ausweitung entschieden werde. Die von der SPD erhoffte "generalpräventive Wirkung" der elektronischen Augen sei nicht eingetreten, die Zahl der Sachbeschädigungen durch Graffiti und Vandalismus im Untersuchungszeitraum sogar leicht anstiegen. Die Behauptung des Entwurfs, die Videoüberwachung habe sich "als geeignetes Mittel" zur Bekämpfung der Drogenkriminalität oder terroristischer Anschläge bewährt, sei "völlig aus der Luft gegriffen".

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte sich am Dienstag mit der Linkspartei noch auf Änderungen an der Novelle geeinigt. So dürfen nun etwa Daten von Handy-Ortungen nur mit Zustimmung der betroffenen Personen an Dritte weitergegeben werden. Der Innenausschuss nahm auch eine Klausel zur Evaluation der Neuregelungen nach zwei Jahren in den Entwurf auf. Laut Agenturmeldungen strich das Plenum zudem noch die "Filmgenehmigung" für die Beamten zum Selbstschutz. Die Korrekturen in letzter Minute hätten ihre grundsätzliche Kritik an einer Einschränkung der Bürgerrechte aber nicht ausgeräumt, begründeten Baba und ihre Fraktionskollegin Mari Weiß ihre Enthaltung. Weiß erinnerte daran, dass Parlamente dazu da seien, Bürger vor Willkür zu schützen. Das sei hier nicht gelungen.

Die Innenexpertin der Fraktion der Linken im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, bekundete ebenfalls Gewissensbisse. Sie räumte ein, dass es bei den Änderungen um einen "Grundrechtseingriff geht, der nicht gering ist". Das sähen viele Mitglieder ihrer Fraktion mit sehr gemischten Gefühlen. Man habe sich aber in der Koalition nicht ganz durchsetzen können.

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann warf dem rot-roten Senat und den Regierungsfraktionen eine Abkehr von den Freiheitsrechten vor. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) schicke sich derzeit mit ständig neuen Sicherheitsvorschlägen an, "grundlegende Prinzipien unseres Rechtsstaates umzubauen". Rot-Rot habe nun mit der Novelle "die Tür ein Stück" aufgemacht in "Schäubles Welt". Aus Protest entrollten die Grünen-Abgeordneten bei Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses DIN-A-3-große Plakate, auf denen Videokameras abgebildet waren. Mit den in Fernrohre verwandelten Blättern "filmten" sie anschließend die Abgeordneten von Rot-Rot.

Der CDU-Innenexperte Frank Henkel lobte zwar den Ansatz des Vorhabens. Damit sei Rot-Rot endlich Forderungen der CDU gefolgt. Doch die Ausdehnung der Überwachungsbefugnisse gehe nicht weit genug. Weiterhin käme es etwa nicht zur Montage von Kameras an Kriminalitätsschwerpunkten und zur Aufzeichnung von Graffiti-Schmierereien. "Wir werden trotz aller Verbesserungen diesen halbherzigen Entwurf nicht mittragen", betonte Henkel. Sein FDP-Kollege Björn Jotzo hielt Rot-Rot dagegen vor, "ein Sicherheits-Placebo auf Kosten der Bürgerrechte" statuiert zu haben. (Stefan Krempl) / (pmz)