Kaputterzogen oder nur unerzogen?

In Großbritannien wurden letztes Jahr über 2.500 Kinder wegen Gewalttätigkeit vom Kindergarten ausgeschlossen, erklärt wird das u.a. mit einem Phänomen, das auch hierzulande bekannt ist: zu große Toleranz der Eltern

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In den neuen Magazinen für die gut gestellten Eltern, die jetzt beim gut sortierten Zeitschriftenhändler ausliegen und gut aufgeräumte Mittelklasseverhältnisse zeigen, ist von dieser Wirklichkeit so gut wie nichts zu spüren: gewalttätige Kinder, die sich nicht bändigen lassen.

Gibt es das tatsächlich nur in Großbritannien?:

Schon im frühen Alter von zwei Jahren, so der Bericht einer britischen Zeitung, würden Kinder vom Besuch der Krippe ausgeschlossen, weil sie andere Kinder bzw. die Erzieher attackiert hätten.

Die ganz Kleinen, um die 2 Jahre alten, Gewalttäter sind freilich die Ausnahme; es sind insgesamt nur 20 landesweit, die von ihren KiTas ausgeschlossen wurden. Die Zahl der ausgeschlossenen Kindergartenkinder - 5 Jahre oder etwas jünger - ist dagegen beeindruckend bzw. schockierend: 4.130, davon 1.450 wegen körperlicher Angriffe auf einen Erwachsenen und 1.010, weil sie andere Kinder attackiert haben.

Die Zahlen stammen von der britischen Regierung, die zum ersten Mal eine solch präzise Ausschluss-Statistik veröffentlicht hat, nachdem sie von der Opposition dazu aufgefordert wurde.

Interessant sind nun die Kommentare und Erklärungen von Pädogogen zu diesen schockierenden Zahlen, zu denen man auch die 41.000 (!) Kinder rechnen muss, die in den letzten 12 Monaten vom Besuch der Grundschule ausgeschlossen wurden. Darunter 60 wegen Vergehen im Zusammenhang mit Drogen und Alkohol (der Jüngste laut Independent im Alter von 6 Jahren) und 260 wegen sexuellen Fehlverhaltens - was man sich darunter vorstellen mag, bleibt offen und etwas rätselhaft, da bei dieser Zahl angefügt wird, dass das jüngste aus diesen Gründen ausgeschlossene Kind 3 Jahre alt ist. Der Grundtenor der Kommentare von Schullehrern ist auch hierzulande nicht unbekannt: Die Eltern seien zu tolerant, zu nachgiebig, heißt es.

Die Kinder würden derart unerzogen und demotiviert in die Schule kommen, dass sich die Lehrerschaft darüber beklage, an diesen Mängeln schon kaum mehr etwas ändern zu können, geht aus dem Regierungsbericht hervor.

Dass das Eltern-Kind-Verhältnis gestört ist, weil die Balance zwischen Autorität und Toleranz nicht mehr stimmt, trifft allem Anschein nach nicht nur auf die raue britische Wirklichkeit zu, sondern ist ein internationales Problem (siehe "Abhängige Eltern haben abhängige Kinder"), das längst auch die besseren Kreise hierzulande erreicht hat.

Eine kleine Spur davon findet sich sogar in dem neuen SZ-Familienmagazin "Wir", das sich ansonsten vor allem brav und idyllisch zeigt, im Interview mit Michael Winterhoff, Kinder-und Jugendpsychologe. Es würden auch Eltern zu ihm kommen, die gebildet seien und seelisch gesund. Er beklagt, dass Kinder "so gut wie nie das tun, was die Eltern sagen", Kinder würden drei-oder fünffach erteilte Aufträge total ignorieren, so der Autor des Bestsellers "Warum unsere Kinder Tyrannen werden":

"Die Eltern empfinden das nicht als störend. Bevor das Buch erschien, waren es oft Lehrer, die die Eltern zu mir geschickt haben: Die kamen gar nicht auf die Idee, dass sie Probleme mit ihren Kindern hätten."