Künstlicher Alkohol ohne Nebenwirkungen

Ein britischer Pharmakologe, der bis vor kurzem der Drogenbeauftragte der Regierung war, will Alkohol durch ein Benzo-Getränk ersetzen

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Drogen scheinen die Menschen zum Überleben in der tristen Welt zu brauchen. Zwar verbieten Gesellschaften bestimmte Drogen, erlauben jedoch andere, weil sie einfach zur Kultur gehören und man bei einem Totalverbot mit einem murrendem Volk und noch mehr Kriminalität rechnen müsste. Verwegene Evolutionstheoretiker haben sogar postuliert, dass die Geburt der Städte vor mehr als 10.000 Jahren dem Bier zu verdanken sei, das die kundigen Schamanen zu brauen wussten, um die Massen bei Feierlichkeiten zu entzücken. Überhaupt, Religion und Drogen - und damit auch Ausschweifungen? - gehören bekanntlich eng zusammen, die Erlebnisse bei den Riten und sakralen Feiern wurden durch Drogen, und sei es nur Weihrauch, verstärkt und hoben die Menschen aus dem Alltag und dessen Rationalität heraus.

Drogen haben sich längst aus dem Zusammenhang mit Religion und Ekstase befreit und sind für viele zum Mittel geworden, den Alltag etwas aufzupeppen oder ihn auch nur aus- und durchzuhalten. Aber auch der Konsum der in den westlichen Industriestaaten legalen Drogen wie Alkohol und Nikotin hat enorme gesellschaftliche Auswirkungen. Beide verursachen enorme gesundheitliche Schäden und machen süchtig, Alkohol ist zudem eingewoben in Kollateralschäden wie Gewalt, fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr oder auch nur Einbußen der individuellen und gesellschaftlichen Produktivität.

Da ist doch gut, wenn manche überlegen, wie man Drogen herstellen könnte, die zwar den hedonistischen Effekt mit sich bringen, aber keine negativen Nebenwirkungen haben. Das wären dann so etwas wie virtuelle Drogen, die man beliebig oft nehmen könnte, ohne dass dies Folgen hätte – abgesehen davon, dass dadurch vielleicht die Zufriedenheit mit dem gesellschaftlichen System bzw. die politische Apathie groß werden würde. Vornehmlich autoritäre Staaten, die den Konsum von Drogen nicht ganz verbieten wollen, könnten Interesse daran haben, das Volk mit Drogen – und nicht nur mit Religion – still zu stellen.

Ein britischer Neuropsychopharmakologe will nun, wie die Times berichtet einem künstlichen Alkohol auf die Spur gekommen sein. Der soll die angenehmen Wirkungen von Alkohol erzeugen, nimmt man aber dann ein Gegenmittel, sei man absolut nüchtern, könne nach Hause fahren, müsse um seine Leber, seinen Magen oder seinen Kreislauf nicht fürchten und einen Kater gäbe es auch nicht. Bis 2012 könnte die Wunderdroge auf dem Markt sein, wenn Professor David Nutt, Leiter der Neuropsychopharmaklogischen Abteilung des Imperial College London, genügend Geld für klinische Versuche eintreiben kann. 10 Millionen Pfund würde es schon kosten.

Nutt wurde kürzlich auch außerhalb Großbritanniens bekannt, weil er bis Oktober des letzten Jahres der Drogenbeauftragte der britischen Regierung war und dann gefeuert wurde, weil er die "künstliche" Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Drogen kritisiert hatte. Die Drogenpolitik müsse sich an der Gefährlichkeit der Drogen orientieren, hatte er gesagt und angefügt, dass Alkohol und Nikotin gefährlicher seien als Cannabis, LSD oder Ecstasy. Das war für die britische Regierung offenbar nicht tragbar, deren Klientel eher auf Alkohol und Nikotin steht. Also musste Nutt als Tabubrecher gehen.

Nutt denkt an "Alkohol" auf der Basis von Benzodiazepinen. Die werden bislang gespritzt oder als Tabletten verabreicht, sind auch nicht gerade ungefährlich, weil sie süchtig machen können, und daher in Deutschland verschreibungspflichtig. Ein Suchtrisiko streitet Nutt aber ab, man darf gespannt darauf sein, wie er die Benzo-Droge entschärfen will.

Betrunken würde man davon allerdings nicht, sondern nur entspannt und vielleicht ein wenig umnebelt. Der Wissenschaftler denkt daran, den Wirkstoff beispielsweise einem Fruchtdrink beizumixen, damit könnte er so konsumiert werden wie Alkohol. Wie die Times berichtet, führen Kritiker neben der Suchtgefahr auch das Risiko an, dass die mit dem Benzo abgefüllten Menschen auch keine Lust haben könnten, das Gegenmittel einzunehmen, bevor die Heimfahrt im Wagen eingetreten wird. Nutts Vorschlag: die Polizei mit dem Gegenmittel auszustatten.

Die Frage ist nicht nur, wie die Alkoholindustrie auf die neue, angeblich ungefährliche Droge reagieren würde. Ob die Alkoholfreunde mitspielen, wenn sie nur sediert werden, ist auch höchst ungewiss.