Die Vorratsdatenspeicherung und die üblichen Scharfmacher

Außer Kontrolle

Nicht nur in Frankreich wird das Attentat in Toulouse für politische Schnellschüsse genutzt. In Deutschland pocht man damit erneut auf die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. Mit teilweise abenteuerlichen Begründungen

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Immer, wenn irgendwo innerhalb der EU ein Attentat stattfindet, dauert es kaum einen Tag, bis die "üblichen Hardliner" gebetsmühlenartig nach mehr "Sicherheitsgesetzen" rufen, nach der Verschärfung der bestehenden "Sicherheitsgesetze" oder nach mehr Befugnissen für die Strafverfolgung. Fast immer ist auch das Internet im Zentrum der Aufmerksamkeit derjenigen, die gerne die Gleichung "Attentäter + Internet = gefährliches Internet" aufstellen. Es wundert also wenig, dass das "Wir brauchen..."-Mantra nach dem Attentat in Toulouse wieder vom Chor der Hardliner gesunden wird.

Während in Frankreich Sarkozy medienträchtig nach der Strafbarkeit des Besuches von Terror- und Hetzseiten ruft, drängen in Deutschland nicht nur die üblichen Verdächtigen auf eine Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratdatenspeicherung. Wohl auch wegen der befürchteten Strafzahlung, die auf Deutschland zukommen könnte, so keine Umsetzung der Richtlinie stattfindet, mischt sich nunmehr auch Bundeskanzlerin Merkel ein. Der Druck auf die Bundesjustizministerin steigt und das Damoklesschwert der Strafzahlung wird mittlerweile so oft beschworen, dass jeder glauben könnte, das Haar, an dem es hinge, sei schon zu 99% zerfasert und jeden Moment würde das Urteil zur Millionenzahlung ergehen.Dabei ist in diesem Fall das Haar ein sehr dickes Seil und das Schwert ist stumpf.

Nichtsdestotrotz wird schwadroniert, die Entdeckung des Täters sei u.a. auch der Vorratsdatenspeicherung in Frankreich zu verdanken - zu Unrecht, wie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung auf seiner Homepage schreibt.

"Richtig ist, dass auch eine Datenspur zu Merah führte: Unter den 576 Personen, über deren Internetanschluss eine Kleinanzeige des ersten Opfers gelesen und/oder mit dem Inserenten Kontakt aufgenommen worden war, befand sich die Mutter von Merah. Sie wurde mithilfe vorratsgespeicherter IP-Adressen identifiziert. Dies erfolgte jedoch bereits am letzten Samstag und führte nicht zu einem Eingreifen der Polizei.

Zu dem Zugriff auf die Wohnung des Täters Mohammed Merah in der Nacht von Montag auf Dienstag entschloss sich die französische Justiz erst, nachdem ein Motorradhändler am Montag angegeben hatte, Merah habe einen Angestellten wenige Tagen zuvor gefragt, wie sich ein Lokalisierungschip von einem Motorrad entfernen lasse, welches (wie das Tatfahrzeug) umlackiert worden sei. Da Merah seit Jahren Kunde des Händlers war, konnte dieser aus seiner Kundendatei den Namen des Beschuldigten heraussuchen und der Polizei übergeben. Erst aufgrund der Aussage des Motorradhändlers am Montag griff die Polizei zu. Die Aussage des Händlers hätte auch ohne die Internetspur zur Identifizierung von Merah geführt."

Doch ungeachtet dessen wird die Forderung nach der VDS in Deutschland lauter, zumindest von Seiten der Politiker, die sie schon seit Jahren unbedingt etablieren möchten. Die Bundesjustizministerin hat weiterhin einen Alternativvorschlag, der letztendlich jedoch auch nur eine Finte ist. Denn auch die siebentägige IP-Adressenspeicherung, die die Ministerin vorschlägt, wäre zum einen eine VDS, zum anderen aber, viel wichtiger, würde sie keine Umsetzung der EU-Richtlinie bedeuten und insofern auch die gefürchtete Strafzahlung nicht abwenden. Das Ganze lässt sich auf eine einfache Formel abkürzen: entweder VDS oder nicht. Bedenkt man, dass es bisher keine Nachweis dafür gibt, dass die VDS bzw. deren Wegfall eine derartige Auswirkung auf die Verfolgung und die Ahndung von Straftaten hat, so ist die Wahl einfach: keine VDS.