Crash von 2008: Hedge Fonds ruinierten Investmentbanken

Dank dem "Freedom of Information Act" wird nun langsam klar, was während des Bankencrash vom September 2008 tatsächlich vorgefallen ist

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Seit das westliche Bankensystem im September 2008 für einige Tage zum Stehen gekommen war und nur um Haaresbreite am völligen Zusammenbruch (von dem keiner weiß, wie der konkret ausgesehen hätte) vorbeischrammte, wird gerätselt, wie es so weit hatte kommen können. Aus von der Informationsagentur Bloomberg erkämpften Daten der Fed, sowie der im Zuge einer Untersuchung des US-Kongresses durch die Financial Crisis Inquiry Commission verfügbaren Unterlagen ergibt sich nun ein weiteres Mosaiksteinchen zur Lösung dieser Frage.

So zeigen Daten der Fed zu ihren Finanzierungen nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, wie sehr sich die an der Wall Street zuvor allmächtigen Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley in die Hände ihrer Kunden begeben hatten und von diesen in der Not fast ruiniert worden wären.

Hintergrund war ihr "Prime-Broker"-Geschäft. Dabei übernehmen die großen Investmentbanken (bzw. die Investmentabteilungen großer Universalbanken wie z.B. JPMorgan Chase & Co., Citigroup oder Credit Suisse Group AG) für einen Hedge Fonds praktisch die gesamte Abwicklung der Geschäfte. Die Prime Brokers gestionieren die Wertpapierdepots, organisieren die diversen Handelsstrategien, ermöglichen Leerverkäufe und stellen auch eine Fremdfinanzierung für die jeweiligen Positionen zur Verfügung – so weit jedenfalls die Berichte der Banken, denen darüber hinaus nicht viel mehr zu entnehmen war, als dass diese Geschäfte den zehn größten Prime Brokern 2010 zusammen alljährlich rund zehn Milliarden Dollar an Gewinn einbrachten. Morgan Stanley will zuletzt jährlich wenigstens zwei Milliarden USD mit den Hedge Fonds verdient haben.

Unbekannt blieb jedoch, dass die Prime Broker die Hedge Fonds nicht nur finanzierten, sondern sich ihrerseits von der Finanzierung durch diese abhängig gemacht hatten. Dabei nutzten sie aber nicht nur deren Cash-Einlagen für kurzfristige Finanzierungen, offenbar durften sie auch deren Wertpapierbestände als (Repo-) Sicherheiten für eigene Kredite verwenden, wobei sich laut Bloomberg für diese Finanzierungen insgesamt der Begriff "Free-money" eingebürgert habe.

Allerdings wurden nach der Lehman-Pleite mindestens 65 Mrd. USD an Hedge Fonds-Vermögen eingefroren, das von der Londoner Prime Broker-Tochter von Lehman gehalten worden war. Da nach den Pleiten von Bear Sterns und Lehman unter den Top-Investmentbanken nun aber Morgan Stanley und Goldman Sachs als nächste Opfer galten, wurden ihnen diese Hedge Fonds-Finanzierungen aber praktisch über Nacht entzogen, was ohne Hilfe der Fed wohl weder Morgan noch Goldman hätten leisten können.

Ende September, nachdem die Hedge Fonds von MS also satte 128 Mrd. USD abgezogen hatten, fanden sich mit 107,3 Milliarden Dollar mehr Fed-Gelder in den Büchern von MS, als bei jeder anderen Bank - und das war immerhin mehr als doppelt so viel, wie die Fed nach den Anschlägen von 9/11 an alle Banken zusammen ausgereicht hatte. Am 29. September, als die Fed-Kredite ihr Maximum erreicht hatten, meldete MS übrigens, dass ihre Liquiditätsposition "stark" sei und verzichtetet dabei auf jede weitere Erklärung, woher diese Liquidität tatsächlich stammte. Die Nächsten in der Reihe der größten Fed-Schuldner waren dann auch die größten US-Universalbanken Citigroup Inc. (99,5 Mrd. USD) und Bank of America Corp. (91,4 Mrd. USD), deren Bilanzsummen jeweils ein Mehrfaches der damals 660 Mrd. USD von Morgan Stanley erreichten, aber auch Goldman holte sich 69 Mrd. USD.

Laut Bloomberg habe sich die Lage inzwischen beruhigt und auch MS meldet steigende Gewinne aus dem Prime Broker-Geschäft. Offenbar angesichts der schlechten Erfahrungen mit der Lehman-Pleite würden die Hedge Fonds nun sogar verstärkt zu "systemisch wichtigen" Bankern als Prime Brokern tendieren, da sie dadurch an deren "Too-big-to-fail"-Status partizipieren könnten.

Was indes zu den enorm hohen Fed-Krediten europäischer Banken ergänzt werden sollte, ist das Faktum, dass während der Dollar-Knappheit im September 2008 praktisch alle europäischen Banken, die über eine Fed-fähige Tochter in New York verfügten, zumeist umstandslos die Dollar-Finanzierung ihrer jeweiligen heimischen Konkurrenten sicherstellten. So hatte beispielsweise die österreichische Erste Bank von der Fed acht Milliarden Dollar erhalten, diese aber zu nicht geringen Teilen an die sonst in schwerster Konkurrenz zu ihr stehenden Raiffeisen- und Volksbanken etc. weitergereicht, um deren Überleben zu sichern.