Siege gegen Zwangsräumungen in Spanien

Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg stoppte Räumung eines Wohnblocks, den zwangsgeräumte Familien besetzt haben

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Nach dem entscheidenden Sieg der spanischen Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH) vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat diese nun die Verantwortlichen mit der Besetzung eines Messestands auf der Immobilienmesse im katalanischen Barcelona am Donnerstag gezwungen, Verhandlungen über die Wohnungen in einem besetzten Wohnblock zu führen, der auf Anordnung des EGMR nicht geräumt werden darf.

Nun werden sich die Verantwortlichen der spanischen Bad Bank (Sareb), der auch der Wohnblock im katalanischen Salt gehört, und Vertreter der Regionalregierung mit der PAH zusammensetzen. Die PAH-Sprecherin Ada Colau 8http://www.lavanguardia.com/vida/20131016/54391207825/ada-colau-sareb-arrogancia.html erklärte] zuvor, man werde von der "Sareb mit unglaublicher Arroganz" behandelt. In den Verhandlungen wollen sie Mietverträge mit einer Sozialmiete fordern, die 30 Prozent des Einkommens der Bewohner nicht übersteigt. Weil der Wohnblock einer Pleite-Bank unverkäuflich erschien, wurde auch er in die Bad Bank ausgelagert, um die Bilanzen der mit Milliarden geretteten Banken besser aussehen zu lassen.

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"Keine Banken, sondern Menschen retten."

Entscheidend für das Einlenken der Sareb war, dass wieder einmal internationale Gerichtshöfe sich ins spanische Zwangsräumungsdrama eingemischt haben. In Salt war vergangene Woche der Jubel bei der schwangeren Bushra, ihrem Mann, dem siebenjährigen Sohn und 40 Nachbarn groß, als der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg in letzter Minute die Räumung eines Wohnblocks stoppte, in dem sie wohnen. Der gelbe Wohnblock liegt in der Stadt mit 30.000 Einwohnern, die zwischen Barcelona und der französischen Grenze. Hunderte Menschen, unterstützt von der örtlichen Feuerwehr waren versammelt, um sich der Polizei entgegenzustellen. Statt Spannung, Gerangel und Verhaftungen wurde ein Sieg gefeiert.

Straßburg hatte schon zuvor die Räumung von zwei Familien untersagt. Erstmals verhinderte der EGMR, die Räumung eines gesamten Wohnblocks. Den hatte am 22. März das "Sozialwerk" der PAH besetzt. Räumungsopfer besetzen immer wieder Wohnungen für Familien, deren Lage dramatisch ist. Sie haben ihre Wohnung verloren, weil sie die Hypothek oder die Miete wegen Arbeitslosigkeit nicht mehr bezahlen konnten. Zur zweiten Gruppe gehört die Bushras Familie: "Mein Mann hat seinen Job auf dem Bau verloren und dann wurden wir geräumt", erklärt die junge Marokkanerin. Die Familie hat keine Einkünfte mehr. In Spanien gibt es keine Sozialhilfe. Läuft das Arbeitslosengeld aus, wird in besonderen Fällen zeitlich begrenzt ein Sozialgeld von 420 Euro bezahlt. Hoffnung auf einen Job habe ihr Mann angesichts der Arbeitslosigkeit von 26 Prozent nicht.

16 Familien mit 21 Kindern waren in dem einst leerstehenden Gebäude untergekommen, denen es ähnlich geht. (http://sociedad.elpais.com/ccaa/2013/10/16/catalunya/1381907008_727527.html) Sie stammen wie Bushra aus Marokko, Gambia, Ekuador, Spanien, Chile oder Peru. Für sie alle bescherte die Entscheidung aus Straßburg eine unglaubliche Freude. Das macht mehr als 700 Betroffenen Hoffnung, die mit der PAH bisher Wohnungen besetzt haben. Auch in Madrid wurde Anfang des Monats wieder ein Wohnblock besetzt. Zur Unterstützung der Besetzer in Salt haben in Aldaia in Valencia sechs Familien mit der PAH einen Wohnblock am Tag vor der angekündigten Räumung in Salt besetzt. Das Motto lautet: "Eine Räumung, eine neue Besetzung."

Auch hier staunten die Besetzer in Aldaia, dass in Spanien etwa drei Millionen meist eingerichtete Wohnungen leer stehen. "Sogar die Birnen sind in den Fassungen", sagte Óscar Pizarro. Der 31-Jährige schlägt sich seit Januar ohne Wohnung durch. Wie die Besetzer des PAH-Sozialwerks atmen zehntausende Familien in Spanien auf, auch wenn die Richter bisher nur die Räumung verschoben haben. Wie in den zwei Fällen zuvor fordert Straßburg von Spanien Aufklärung darüber, wie das Menschenrecht auf eine Wohnung garantiert werden soll. Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 wurden schon mehr als 400.000 Wohnungen geräumt, meist wurde den Betroffenen kein Ersatz angeboten. Doch sogar die spanische Verfassung garantiert in Artikel 47 "das Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung". Die PAH ist ein erfolgreicher Zweig der Empörten-Bewegung. Zunächst entstand bei der Platzbesetzung in Barcelona die Idee, Räumungen zu verhindern. Inzwischen bleibt man dabei aber nicht mehr stehen und geht mit Besetzungen leerstehender Gebäude zur Selbsthilfe über. Für die Katalanin Colau, die der PAH ein Gesicht gibt, ist das nur eine logische Folge. "Wir greifen seit langen diesen Skandal an, dass Banken mit Steuergeldern gerettet werden, die zahllose Wohnungen leer stehen lassen, um sie Spekulanten anzubieten."

Während die PAH auch von der konservativen spanischen Regierung trotz des rein gewaltfreien Widerstands als Gewalttäter kriminalisiert wird, stößt sie in Europa auf große Unterstützung. Im September nahm Colau für die PAH vom Europaparlament den Bürgerpreis 2013 entgegen. Mit der Akademie der Baskische Sprache (Euskaltzaindia) wurde sie für das "außergewöhnliche Engagement für ein besseres gegenseitiges Verständnis und mehr Integration in der EU" geehrt.

Von großer praktischer Bedeutung war für zahllose Menschen im Land, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) im März urteilte, dass viele Zwangsräumungen illegal sind. "Es reicht", meinten die Richter, weil spanische Gesetze es "praktisch unmöglich" machten, eine Zwangsräumung zu stoppen. Die Räumungsanträge basierten oft auf "missbräuchlichen Klauseln" in Kreditverträgen, die gegen Verbraucherrechte verstoßen. Zwar ist die Zahl der Zwangsversteigerungen zwischen April und Juni gegenüber dem Vorquartal um 4,4 Prozent gesunken, betroffen waren aber immer noch mehr als 20.000 Familien.