Unaufhörlich angespornte Kinder, die angeblich ihr Leben besonders genießen

Die Wunschwelt des "ordentlichen Leistungsdrucks"

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Die Frage, wieviel Leistungsdruck Kinder ertragen, kommt immer wieder neu auf den Tisch. In den Familien, in der Schule und in der Öffentlichkeit. Wer die Erfahrung kennt, wie sehr sich Geschwisterkinder auch in diesem Punkt unterscheiden können, wie leicht der eine lernt, während der Bruder, der doch die gleiche "Erziehungsschule" durchlaufen hat, mit keiner Methode, weder soft noch mit "Tigermama-Härte", dazu zu bringen ist, konzentriert zu lernen, der bekommt eine Ahnung davon, dass Patentrezepte und Verallgemeinerungen nichts helfen. Dass sie zu einer anderen Ebene gehören - derjenigen, bei der es auf Botschaften ankommt, auf politische Signale, die sich an eine "Kultur" richten.

Diese Ebene hat eindeutig auch der Erziehungsratgeber-Artikel der FAZ-Wirtschaftsredakteurin Inge Kloepfer im Visier: "Ich will was leisten, und das ist gut so.".

Die Botschaft Kloepfers ist gegen eine Erziehungskultur gerichtet, die dem Leistungsdruck skeptisch gegenüber steht und diesen mit schädlichen Folgen in Verbindung bringt, wofür sich schnell Beispiele finden (siehe Studie: "Jugend zerbricht am Leistungsdruck"). Auf Seiten dieser pädogogischen Vorsicht erkennt sie eine gewisse Schwächlichkeit:

"Welche Eltern würden heute noch öffentlich zugeben wollen, dass sie ihre Kinder ordentlich unter Leistungsdruck setzen? Denn schon allein dieses Wort lässt die Vertreter des pädagogischen Mainstream in Deutschland erschaudern."

Das schiere Gegenteil, dessen was der Mainstream befürchtet, sei wahr, so der Tenor ihres Artikels:

"Wer glaubt, dass Jugendliche unter den Erwartungen ihrer Eltern leiden, täuscht sich. In Wahrheit ist der Nachwuchs bereit, sich anzustrengen - und erwartet Ermunterung."

Und dies mehr, als manche Eltern ahnen:

"Sie wollen angetrieben werden, ermuntert, unterstützt, motiviert und gefördert. Sie brauchen den Druck der Eltern, der sie immer wieder aus ihrer jugendlichen Lethargie reißt, um nicht nur 'Party zu machen' oder ihre Zeit im Netz zu verbringen. Sie wollen, dass sie ihnen ihre natürliche Faulheit austreiben."

Als empirische Grundlage für ihre Annahmen dient Kloepfer eine Umfrage, die ihre Tochter bei anderen Schülern, "Kindern des Bildungsbürgertums", 120 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten zwischen 12 und 18 Jahren durchgeführt hat. Dem "jugendlichen Feldversuch" entnimmt die Wirtschaftsredakteurin Aussagen, die allesamt der These widersprechen, wonach "ordentlicher" Leistungsdruck schädlich sein könnte.

Das schiere Gegenteil sei wahr, schließt sie aus der Umfrage, die wissenschaftlich keinen Anspruch auf Repräsentativität erwarten kann und ihre Raison d'être aus dem Ärger bezieht, dass die Tochter "und ihre Altersgenossen in den immer wiederkehrenden Erziehungsdebatten überhaupt nicht zu Wort kamen". Der "vermeintliche Leistungsstress mit verheerenden seelischen Schäden" entpuppt sich gemäß dieser Aussagen als Erziehung zum Lebensglück:

"Verblüffend war vielmehr, dass vor allem diese unter Leistungsdruck stehenden Jugendlichen, die von ihren Eltern unaufhörlich angespornt werden, darüber hinaus angaben, ihr Leben besonders zu genießen. Ändern würden sie wenig. Ihren eigenen Kindern würden sie später sogar noch mehr abverlangen. Ganz nach der Devise: Noch mehr ist möglich. Und ihren Eltern gaben sie für ihren Einsatz Bestnoten."

Das klingt sehr nach einer Idealwelt des Bildungsbürgertums, die einen großen Teil der Wirklichkeit ausschließt. Wie erklärt man sich in dieser Welt etwa den ungeheuren Anstieg von Schülern, die auf Empfehlung des Arztes und dem Drängen der Eltern Ritalin nehmen, um in der Schule "vorne mitzuschwimmen"?