Erstmals streiken in Spanien Richter und Staatsanwälte

Der Ausstand fiel mit der Rede von Ministerpräsident zur Lage der Nation zusammen, die vor allem die Korruptionsdiskussion überlagerte

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Niemals haben Richter und Staatsanwälte in Spanien wie am Mittwoch gemeinsam gestreikt. Der Protest fiel mit der ersten Debatte im Parlament über die Lage der Nation zusammen, bei der sich Ministerpräsident Mariano Rajoy erstmals rechtfertigen musste. Seine von Korruptionsaffären erschütterte Volkspartei (PP) ist nach einem Regierungsjahr isoliert. Dass er sogar praktisch die gesamte Justiz gegen sich aufgebracht hat, zeigt das. Denn auch in Gerichten halten viele die Lage in Spanien für fatal.

Nach Angaben der fünf Vereinigungen, die zum Streik aufriefen, beteiligten sich 66 Prozent, der Richter und Staatsanwälte am Ausstand. "Hände hoch, das ist ein Überfall", riefen sie mit Blick auf die Reformen von Alberto Ruiz Gallardón vor Gerichtspalästen. Eine große Versammlung fand am Mittag vor dem großen Gericht an der Plaza de Castilla in der Hauptstadt statt. An ihr nahmen in Madrid am Mittag auch Mitglieder des Justiz-Kontrollrats (CGPJ) teil, darunter auch die CGPJ-Sprecherin Margarita Robles.

Die CGPJ-Reform hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Robles hält es für "außerordentlich" für einen Rechtsstaat, wenn ein Gesetz ausgesetzt werden soll, um das Gremium neu zu besetzen. Angewandt werden soll ein nicht verabschiedetes Gesetz, das der CGPJ ablehnt. Das Ziel sei, "den Kontrollrat zu bestimmen und de facto die Unabhängigkeit der Justiz abzuschaffen", heißt es im Streikaufruf. Ein "Raum der Straflosigkeit" werde geschaffen, von dem auch korrupte Politiker profitierten. Robles y justicia/justicia y derechos/robles cgpj comprende y apoya la huelga de jueces_yxdF9kGQaQoyvObaaYfr12/ sagte der Nachrichtenagentur Efe, Richtern, Staatsanwälten, Anwälten und Gewerkschaften sei klar geworden, "dass mit den Reformen den Bürgern Rechte genommen werden".

Gefordert wird, die CGPJ-Reform genauso zu streichen, wie neu eingeführte Gebühren, die armen Menschen den Zugang zur Justiz versperren. Änderungen werden auch an Hypothekengesetzen verlangt, um das Drama zu beenden, dass schon 400.000 Familien aus ihren Wohnungen geräumt wurden, weil viele der sechs Millionen Arbeitslosen Hypotheken nicht mehr bezahlen können.

Viele Bürger warteten mit den Streikenden auch darauf, ob der Regierungschef vor dem Parlament sich zur Tatsache äußerte, dass sich immer wieder Menschen bei Räumungen das Leben nehmen. Vergeblich. Auch zur Gesetzesinitiative, die mit über 1,5 Millionen Unterschriften gerade ins Parlament eingebracht worden war, verlor er ebenfalls kein Wort.

Da er zugab, dass Spanien sein Defizitziel 2012 mit sieben Prozent erneut deutlich verfehlt hat (die Bankenrettung ist nicht einmal eingerechnet), befürchtet man auch in der unterfinanzierten Justiz neue Einschnitte. Gefordert wird von Richtern und Staatsanwälten aber eine bessere Finanzierung, um gegen Korruption und Steuerhinterer effektiv vorgehen zu können. Doch man bezweifelt, ob das überhaupt gewünscht ist, auch wenn Rajoy im Parlament nun "härtere Strafen" gegen Korruption und "Transparenz" angekündigt hat.

Das hat auch die Opposition nicht befriedigt, da sie bisher Transparenz vermisst. Verschiedene Parteien sehen auch keinen Sinn in Strafverschärfungen, wenn nicht auch das Begnadigungsgesetz reformiert wird. Immer wieder werden auch korrupte Politiker ohne Begründung begnadigt, nachdem sie mit viel Aufwand verurteilt worden waren. Sogar wegen Folter verurteilte Polizisten wurden zwei Mal begnadigt. Letzte Woche hob der Oberste Gerichtshof auch eine Begnadigung teilweise wieder auf. Der Vizepräsident der großen Santander-Bank sollte nicht nur von der Strafe, sondern auch von Konsequenzen befreit werden, die aus dem Urteil rühren. Nach Zentralbankregeln darf er keine Bank mehr anführen, was die Regierung aushebeln wollte und ihre Kompetenzen überschritt.

Die Opposition war enttäuscht, dass Rajoy wieder nur allgemein blieb, Widersprüche nicht ansprach und jede Selbstkritik vermissen ließ. Korruption im Umfeld der Monarchie und die Probleme in seiner PP benannte er nicht. Dabei musste der PP-Sprecher Alfonso Alonso erst am Morgen zugeben, dass der frühere Schatzmeister Luis Bárcenas kürzlich sogar noch auf der Lohnliste der Partei stand. Alonso nannte das "beschämend", gab aber keine Begründung und keine Details bekannt. Zugegeben wurde erneut nur, was längst bewiesen war. Zuvor war behauptet worden, Bárcenas sei 2009 vom Amt zurückgetreten und habe die PP verlassen, als die Schmiergeld-Ermittlungen auch gegen ihn begannen.

Auch die detaillierte Schattenbuchführung von Bárcenas wurde von Rajoy nicht benannt, der über 22 Millionen Euro auf einem Schweizer Schmiergeldkonto verfügte und den PP-Führern daraus monatlich in Umschlägen in bar Zusatzlöhne ausgezahlt haben soll. Weil Rajoys Name in den Listen besonders oft auftaucht, forderte die Opposition ihn bereits zum Rücktritt auf. PP-Mitglieder haben Zahlungen bestätigt und Bárcenas die handschriftlichen Notizen zugeordnet. Der Streik der Staatsanwälte und Richter hat gezeigt, dass die Ablehnungsfront gegen Rajoy enorm breit ist. International wird er immer untragbarer, die Parallelen zu Berlusconi drängen sich geradezu auf. Dass sich nun noch eine Bespitzelungsaffäre abzeichnet, könnte seinen Abgang weiter beschleunigen.