Wir brauchen Geheimgesetze

Außer Kontrolle

Das Bundesjustizministerium möchte nicht sagen, welche Vertreter der Bundesregierung an den Verhandlungen zum ACTA teilnahmen. Gut so, aber das ist zu kurz gegriffen.

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Wir brauchen mehr Geheimgesetze

Ach ja, das Netz besteht aus bemalten Klowänden, wie schon Matt von Jung feststellte. Aber anders als das Bahnhofsklo, das höchstens darüber Informationen bietet, wer wen als Nutte bezeichnet, ist das Internet im Endeffekt (mal von den hochwertigen, meist durch die Kostenpflicht hervorgehobenen, Inhalten abgesehen) ein Hort von Vandalen. Die infokalyptischen Reiter toben durch die Netzsteppe, die einst doch blühende Kommerzlandschaften bieten sollte, die sieben Todsünden haben jede Menge Follower und die Undankbarkeit nimmt stetig zu.

Dazu kommt, dass die Politik immer mehr in Bedrängnis gerät durch all jene, die natürlich gar nicht verstehen, was eigentlich das Politikbusiness bedeutet, welche Sach- und Fraktionszwänge bestehen und weshalb Bauchschmerzen und Bedenken nicht etwa zu einer Ablehnung eines Gesetzes führen, sondern zur Bejahung unter Vorbehalt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Politik mittlerweile verstanden hat, dass sie von emotionalen, aggressiven und schlecht informierten Primaten beobachtet wird, die ein großes Gefährdungspotential bieten.

Glücklicherweise hat man diesmal auch gleich Taten sprechen lassen statt eine Kommission einzuberufen und hat den Antrag eines gewissen Matthias Schindler auf die Übermittlung von Informationen über die an den ACTA (Anti-counterfeit trade agreement)-Verhandlungen beteiligten Bundesregierungsmitglieder abschlägig beschieden. Jener Herr Schindler, der sich auf der schon dubios betitelten Domaine „Frag den Staat“ als potentieller Karlsruhetourist / Gefährder outet, hat allem Anschein nach eine Gutmenscheneinstellung, wenn er meint, dass solch brisante Informationen dem einfachen Bürger zugemutet werden dürfen. Glücklicherweise ist das Ministerium da schlauer.

„Das Bekanntwerden der Informationen zu den Personen, die für die Bundesregierung bei den Verhandlungsrunden zu ACTA anwesend waren, kann die öffentliche Sicherheit, zu der auch die Rechtsgüter der betroffenen Mitarbeiter gehören, gefährden. vorliegend besteht im Falle der Bekanntgabe der Daten der Personen, die bei den Verhandlungsrunden anwesend waren, eine Gefahr für geschützte Rechtsgüter der Betroffenen.

Insbesondere könnten die Namen der Mitarbeiter, die gemäß einem dem Antrag des Antragssteller angefügten Hinweis auf einer Webseite veröffentlicht werden, von Dritten dazu verwendet werden, in unangemessener Form gegen sie vorzugehen. In einzelnen Internetforen, Blogs und im Netz eingestellten Videos sowie dazugehörigen Kommentaren wird zum Teil eine vom sachlichen Regelungsgehalt der Bestimmungen des Abkommens losgelöste, emotionale Diskussion geführt, bei der auch ehrverletzende Äußerungen und Drohungen mit Gewalt gegen an ACTA beteiligte Personen ausgesprochen werden.

Es erscheint daher im Falle der Herausgabe der Daten der bei den Verhandlungsrunden anwesenden Personen hinreichend möglich, dass diese Personen persönlich bedrängt oder sonst gegen sie unangemessen vorgegangen wird.“

heißt es in dem bedauerlicherweise von dem zu wenig differenziert denkenden Pöbel auf Netzpolitik.org unwissend-ablehnend kommentierten Schreiben der Bundesjustizministeriums und auf eben jener "Netzpolitik"-Seite hat man tatsächlich die für einen Bürger unangemessene Chuzpe, Gelder für einen Widerspruch gegen diese Ansicht zu erbitten. Welch Frevel!

Also, liebe Netzpolitik.org-Leser, erinnert ihr euch etwa nicht mehr an die zigtausend mit Mistgabeln und Fackeln bewaffneten Netizens, die den Sturm auf Wolfgang Clement befehligten als dieser deutschlandweit eine ALG II-Missbrauchsquote verbreitete, die keiner Betrachtung standhielt? Wisst ihr nichts mehr über die monatelange Schutzhaft von Ursula von der Leyen, nachdem diese mit ihren Lügen ein Netzsperrengesetz auf den Weg brachte (diese Lügen habt ihr übrigens... na ja, nicht verbreitet, aber doch enttarnt, was umso verwerflicher ist heutzutage)? Sind euch die Gefährdungen all jener, die die Vorratsdatenspeicherung befürworten, die das BKA-Gesetz verabschiedeten oder dergleichen mehr etwa unbekannt?

Dann kann dies nur der Fall sein weil diese tragischen Fälle bisher geheimgehalten wurden. Die Bundesregierung tut gut daran, so zu agieren, wie es im Asterix-Band „Der Avernerschild“ heißt:

Selbst wenn man Dinge weiß... psst und Maul halten.“

Aber das kann und darf natürlich nur der Anfang sein – das Gefährdungspotential ist doch viel größer durch die ewige Berichterstattung darüber, wer nun welchem Gesetz zustimmte, wie dieses zustande kam, wer daran mitarbeitete usw. usf. Letztendlich helfen also, um unsere geliebten Volksvertreter vor dem Zorn der Uninformierten Netzvandalen (TM) zu schützen, nur Geheimgesetze mit geheimen Abstimmungen, geheimen Abgeordneten, geheimen Mitarbeitern und geheimen Konsequenzen durch geheime Abteilungen zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Abschaffung von namentlichen Abstimmungen und die sofortige Abschaffung von solchen Gefährderportalen wie Frag den Staat, Netzpolitik.org und vielen mehr wäre insofern der nächste logische Schritt um weiterhin die Sicherheit der Staatsbediensteten zu gewährleisten. Aber darauf kommen die Herren und Damen der Bundesregierung bestimmt auch noch.