Unendlicher Reichtum und bittere Armut

Der Spanier Amancio Ortega hat sein Vermögen um 22 Milliarden erhöht, während Selbstmorde wegen bitterer Armut zunehmen

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Die Schere könnte kaum stärker auseinander gehen. Am Mittwoch wurde zunächst gemeldet, dass der spanische Textil-Milliardär Amancio Ortega dank Zara & Co. sein Vermögen um mehr als 22 Milliarden Dollar gesteigert hat. Am frühen Abend schreckte danach die Nachricht die Öffentlichkeit auf, dass sich im südspanischen Malaga ein Familienvater von mehreren Kindern in der Nähe eines Krankenhauses mit Benzin übergossen und angezündet hat.

Immer wieder machen in Spanien Menschen mit Selbstmorden auf die dramatische soziale Situation aufmerksam, weil sie keinen anderen Ausweg sehen. Während Ortega sein Vermögen - auf 58 Milliarden Dollar - wie kein anderer Milliardär steigern konnte und deshalb auf den dritten Platz im Bloomberg Milliardärs‑Index aufgestiegen ist, haben zahllose Spanier nicht einmal mehr das Geld, um sich etwas zum Essen zu kaufen.

Ein 57-jähriger Arbeitsloser in Malaga hat sich beim Selbstmordversuch an 80 Prozent der Hautoberfläche Verbrennungen dritten Grades zugezogen und wurde am Donnerstag in eine Spezialklinik nach Sevilla verlegt. Er habe den Versuch nur überlebt, weil am Krankenhaus wartende Taxifahrer sofort mit ihren Feuerlöschern herbeieilten, berichtete Francisco Nieto. Er war Zeuge des Vorfalls und kannte den Betroffen. Vor dem Selbstmordversuch hatte der Mann noch Zigaretten an seinem Kiosk gekauft. Es handele sich um einen Arbeitslosen aus dem Stadtteil, der enorme "ökonomische Probleme" und nicht "genug Geld" gehabt habe, um sich etwas zum Essen kaufen zu können, erklärte Nieto.

Mehr Arbeitslose

Der Textilmilliardär Ortega und der 57-jährige Arbeitslose sind zwei Seiten einer Medaille. Nicht nur in Spanien auch in Deutschland werden Arme immer ärmer und Reiche immer reicher. Das hat der Bloomberg-Index deutlich gemacht. Das Vermögen der 100 reichsten Milliardäre weltweit ist 2012 sogar um 241 Milliarden Euro auf 1,9 Billionen Euro angewachsen. Allein dieser Anstieg ist größer als die Wirtschaftsleistung von EU-Staaten wie Irland, Griechenland, Portugal und Finnland oder fast so hoch wie die Österreichs.

Auf der anderen Seite galoppiert nicht nur in Spanien die Armut. Die Lage spitzt sich wegen der Arbeitslosenquote von gut 26 Prozent besonders stark zu. Schon 2011, so teilte die europäische Statistikbehörde im vergangenen Dezember mit, waren in 27 Prozent der Spanier von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht oder betroffen. Das Land hat zu Bulgarien und Rumänien aufgeschlossen, sogar Griechenland stand mit 21 Prozent etwas besser da.

2012 hat sich die Lage deutlich zugespitzt, wie neueste Daten zeigen, die das Arbeitsministerium am Donnerstag vorgelegt hat. Im vergangenen Jahr haben erneut 430.000 Menschen ihren Job verloren. Das waren deutlich mehr als 2010 (322.286) und 2011 (176.470). Die Zerstörung von Arbeitsplätzen hat unter der neuen konservativen Regierung wieder stark an Fahrt aufgenommen. Angeblich sei die Zahl der Arbeitslosen im Dezember gegenüber dem Vormonat erstmals wieder um 60.000 gefallen. Doch dieser Zahl widerspricht, dass die Sozialversicherung real fast 90.000 Beitragszahler verloren hat.

Da das Arbeitsministerium nur bei den Arbeitsämtern gemeldete Arbeitslose zählt, geht die Zahl zu der der vom Statistikamt (INE) gezählten deutlich auseinander. Statt 4,85 Millionen Arbeitslosen hatte INE schon Ende September fast sechs Millionen Arbeitslose gezählt und nur diese Zahlen benutzt Eurostat. Viele Arbeitslose meiden die Schlangen vor Arbeitsämtern, weil sie keinerlei Leistungen mehr erhalten. Denn das schmale Sozialgeld (400 Euro) wird nur sechs Monate nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes gezahlt.

Keine Sozialleistungen mehr für gut zwei Millionen Menschen

Das führt dazu, dass gut zwei Millionen Menschen keinerlei Leistungen mehr erhalten. Die Caritas beziffert die Zahl der Haushalte, die weder über ein Einkommen oder Sozialleistungen verfügen auf über 600.000. Sie sind meist auf Armenspeisungen angewiesen, weil sie wie im Fall des Mannes aus Malaga Hunger leiden. Ob auch in seinem Fall im Hintergrund eine Zwangsräumung steht, ist unklar. Kurz vor Weihnachten hatten sich in Malaga zwei von Räumung betroffene verzweifelte Menschen aus dem Fenster in den Tod gestürzt. Die Region leidet schon unter einer Arbeitslosenquote von 35 Prozent.

Zwischen Januar und September ist die Zahl der Vollstreckungen um 134 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen, gab der Kontrollrat für Justizgewalt (CGPJ) kürzlich bekannt. Seit dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise kam es zu mehr als 400.000 Zwangsräumungen.

Die Hilfsorganisation "Stoppt Zwangsräumungen" schätzt, dass sich mehr als 100 Menschen wegen einer Räumung das Leben genommen haben. Die Organisation ist überzeugt, dass die Zahl der Selbstmorde in der Krise stark gestiegen ist. Psychiatrie-Verbände meinen, etwa ein Drittel der Suizide stünden im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise. Statistische Zahlen über Selbstmorde werden seit 2010 nicht mehr veröffentlicht, als das INE noch 3145 Suizide zählte.