Frankreich streikt gegen Sarkozys Rentenreform

Massive Streiks führen zu erheblichen Behinderungen im Flug-, Bahn- und öffentlichen Nahverkehr

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Bevor am Nachmittag der schwer angeschlagene Arbeitsminister Eric Woerth die Rentenreform in der Nationalversammlung vorstellen wird, sorgten Streik in Frankreich für erhebliche Behinderungen. Postämter und Schulen hatten geschlossen, von fünf Schnellzügen fahren jeweils nur zwei, etliche Flüge vielen aus, nur in der Pariser Metro war das Chaos nicht so groß wie erwartet, weil etwa 80% der Züge am Morgen gefahren sein sollen.

Die Reform sieht unter anderem die Anhebung des Mindestalters für die Rente von 60 auf 62 Jahre vor. Sie soll gegen entschiedenen Widerstand im Schnellverfahren durchgezogen und schon im Oktober verabschiedet werden. Wer in Frankreich in den Genuss der vollen Rente kommen will, soll gemäß der Reform zukünftig auch 41,5 statt bisher 41 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Erhöht werden sollen auch die Beitragszahlungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um knapp 3%. Auch sie sollen zukünftig 10,55% des Lohnes in die Rentenkasse zahlen, um das klaffende Loch zu stopfen.

Der angeschlagene Präsident Nicolas Sarkozy hat diese Reform zu einem der wichtigsten Projekte seiner Amtszeit erklärt, um das Umlageverfahren zu sichern. Doch schon im Juni hatten fast zwei Millionen Menschen gegen die Pläne protestiert, auch schon damals wurde gefordert, die Gewinne der Großbetriebe stärker zu besteuern, um die Rentenkasse zu füllen. Die Gewerkschaften haben sich zum Ziel gesetzt, diesmal doppelt so viele Menschen zu mobilisieren wie beim letzten Streik- und Aktionstag. Landesweit sind rund 200 Demonstrationen vor allem am Nachmittag geplant. "Es wird das Ereignis des Jahres oder sogar der Protest sein, an den man noch Jahre denken wird", erklärte der Chef der CGT, Bernard Thibault.

Zwar will Sarkozy die "Mutter aller Reformen" durchsetzen, doch die Gewerkschaften wollen ihn mit den Streiks und Demonstrationen zu Verhandlungen zwingen, denn die Konservativen haben die Reform als "nicht verhandelbar" bezeichnet. Die Gewerkschaften sind ohnehin zu Konzessionen bereit, denn sie halten eine Reform aufgrund der fortschreitenden Lebenserwartung der Franzosen und des steigenden Defizits der Rentenkassen für nötig. Sie wehren sich dagegen, dass die Regierung Sarkozy sein Vorhaben den Gewerkschaften und der Opposition in seiner gewöhnlichen Manier autokratisch aufdrücken will. Ihnen geht es vor allem auch darum, dass eine Rentenreform nicht allein zu Lasten der Arbeitnehmer geht.

Gemeinsam haben deshalb nun die acht Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ihre gut 5 Millionen Mitglieder zu den Streiks aufgerufen (CFDT, CGC, CFTC, CGT, FSU, Solidaires, Unsa, FO). Damit nehmen auch die teil, die sich noch im Frühsommer zurückgehalten hatten. Man werde sehen, wie die Regierung auf den massiven Zorn der Straße reagiert. "Sollte sie sich taub stellen, werden die Demonstrationen in einem noch nie dagewesesenen Ausmaß weitergehen", drohte Thibault.

Dass ausgerechnet der Arbeitsminister, der unter dem Verdacht der Korruption und der illegalen Parteifinanzierung steht, die Reform durchdrücken will, ärgert viele in Frankreich. Doch Woerth versucht sich in Gelassenheit. "Wenn es keine Demonstrationen wegen der Renten gäbe, würde es bedeuten, dass wir nicht mehr in Frankreich wären", erklärte er vor Arbeitgebern. Woerth ist tief verstrickt in die Affäre um die L'Oréal-Konzern-Erbin Liliane Bettencourt. In verschiedenen Medien wurde enthüllt, dass er Parteispenden kassiert hat und dafür Ermittlungen des Fiskus wegen Steuerhinterziehung niederschlagen ließ. Dass Woerths Frau zeitweise in Bettencourts Vermögensverwaltung für ein Jahresgehalt von 200.000 Euro angestellt war, bringt ihm den Vorwurf ein, dass die Familie auch direkt profitiert habe.