Berlin erhält zentrale Schülerdatei

Nachdem das Berliner Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit den umstrittenen Gesetzesentwurf zur Einrichtung einer zentralen Schülerdatei in der Bundeshauptstadt verabschiedet hat, ruft der Chaos Computer Club zu einem Datenboykott auf.

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Die einst berüchtigte Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln wurde inzwischen mit einer Realschule zur Gemeinschaftsschule "Campus Rütli" vereint.

(Bild: Campus Rütli)

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am gestrigen Donnerstag mit großer Mehrheit den umstrittenen Gesetzesentwurf zur Einrichtung einer zentralen Schülerdatei in der Bundeshauptstadt verabschiedet. Neben fast allen Mitgliedern der Regierungskoalition von SPD und Linken stimmte auch die CDU für das Vorhaben. Gegen das Gesetz votierten die Grünen und die FDP.

Erfasst werden sollen vom kommenden Schuljahr an neben Name, Geburtsdatum und -ort, Geschlecht, Anschrift, Ansprechmöglichkeiten der Erziehungsberechtigten und Informationen zur besuchten Schule etwa auch spezieller Förderbedarf oder "die Befreiung von der Zahlung eines Eigenanteils für Lernmittel". Datenverarbeitungs- und Zugriffsrechte sind für die zuständigen Schulen sowie die bereichsspezifischen Schulämter der Berliner Bezirke vorgesehen. Diese sollen Informationen mit weiteren Behörden wie Jugendämtern teilen dürfen.

Den sensiblen Bereich der Datenweitergabe hatte die Koalition zuvor mit Änderungen entschärft. So muss die Polizei Adressen der Erziehungsberechtigten von Schulschwänzern weiter über die Meldeämter abfragen. Auch die Angaben über die "nichtdeutsche Herkunftssprache" dürfen nur noch verkürzt und zusammengefasst an andere Stellen transferiert werden. Diese können so nur noch in Erfahrung bringen, wie viele Schüler eine andere Muttersprache haben. Der Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Dix sah seine ursprünglichen Bedenken ausgeräumt. Die Interessen der Schulverwaltung und das Recht der Schüler auf informationelle Selbstbestimmung würden in einer Balance gehalten.

Hauptziel der Datei ist laut der rot-roten Koalition, das Problem tausender Doppelanmeldungen pro Jahr und die Schulplanung besser in den Griff zu bekommen. Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) wünschte sich die Datei seit langem, um eine bessere Übersicht zu erhalten, wie viele Lehrer zum neuen Schuljahr einzustellen sind. Das Register soll auch verhindern, dass einzelne Eltern ihre Kinder gar nicht anmelden und so die Schulpflicht umgehen. Den Schulen steht mehr Personal zu, wenn sie nachweisen können, dass sie viele Kinder aus Zuwanderer- oder sozial bedürftigen Familien aufnehmen.

Der datenschutzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Benedikt Lux, warf dem Senat während der abschließenden Lesung vor, eine "riesige Datenkrake" zu schaffen. Für die Datenbank würden teils sensible Informationen von 300.000 Schülern gespeichert. Auch sei der Datenschutz in den Schulen nicht gewährleistet. Der Bildungsexperte der Linksfraktion, Steffen Zillich, hielt dem entgegen, dass im Gesetzgebungsverfahren alle Anregungen des Landesdatenschutzbeauftragten aufgenommen worden seien. Die frauenpolitische Sprecherin der Linken, Evrim Baba, versagte dem Vorstoß trotzdem ihre Zustimmung. In einer persönlichen Erklärung bezeichnete sie es angesichts einer von ihr befürchteten hohen Missbrauchgefahr als unhaltbar, umfangreiche Informationen über die Schüler "nur deswegen zu erheben, weil diese in einer vagen Weise nützlich sein könnten".

Bürgerrechtler übten bis zuletzt Kritik an dem Entwurf. Das Aktionsbündnis "Freiheit statt Angst" forderte, die offensichtlich für das Register budgetierten 22 Millionen Euro in die Modernisierung der schulischen IT-Infrastruktur oder in qualifizierte Schulungen für Lehrer und Schüler zum Datenschutz zu investieren. Es hat mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen für den kommenden Mittwoch zu einer Demo mit Treffpunkt Axel-Springer-Straße geladen.

Der Chaos Computer Club (CCC) rief die Eltern zu einem "Datenboykott" auf. Die Hacker appellieren an die Erziehungsberechtigten, den Direktoren beziehungsweise den Trägern der Schulen ihrer Kinder "umgehend die Weitergabe der Daten untersagen". Dazu genüge ein formloses Schreiben. Der Senat habe in keiner Weise darlegen können, wieso die offiziellen Ziele des Schulregisters nicht auch auf Basis anonymisierter Daten verfolgt werden könnten. (Stefan Krempl) / (pmz)