Wo sind all die Beiträge hin?

Außer Kontrolle

Die Debatte um das "digitale Vergessen" ist weiterhin eine der grundlegenden Debatten rund um das Thema Daten(schutz/speicherung/löschung). Ein Beispiel hierfür ist die geplante Löschung der Forenbeiträge, die älter als 2 Jahre sind, bei Heise Online.

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Ich gebe es offen zu: In manchen Dingen verlasse ich mich zu stark auf andere. Gerade wenn es um das Thema Backups geht, ist für mich oft einfach ein (blindes) Vertrauen in diejenigen, die ich bezahlt habe (oder auch nicht) da gewesen. Als letzten Endes STOP1984 vom Netz ging (mitsamt meinen gesammelten Kurzgeschichten), war das für mich ein Schock. Er liess mich aber auch über all die Probleme, die solche Sammlungen mit sich bringen, nachdenken. Gerade jetzt, wo auch die Diskussion um die neuen Regelungen zur Deutschen Nationalbibliothek die verschiedensten Meinungen dazu aufeinanderprallen lassen, stellt sich für mich auch wieder die Frage: Wer soll was archivieren dürfen, wer darf was löschen und wie wirkt sich dies worauf auch immer aus?

Bei der Nationalbibliothek empfinde ich diese Zuliefertätigkeit im digitalen Bereich als schwierig. Dass die DNB nicht jedes Buch selbst kaufen bzw. anfordern kann und sollte, sehe ich ein, aber die Archivierung digitaler Inhalte ist als Pull-Methode einfacher und für die diversen Menschen, die betroffen sind, simpler als die Push-Methode, zumal nicht einmal geklärt ist, was überhaupt abgeliefert werden muss. Wenn es um Forenbeiträge etc. geht, stellt sich auch die Frage, inwiefern eine solche Archivierung der informationellen Selbstbestimmung widerspricht. Oder wie ist es mit Jugendlichen, die zum Teil recht fahrlässig mit ihren Daten umgehen, die dann professionelle Löschdienste in Anspruch nehmen, um ihren Lebenslauf wieder den Anforderungen anpassen, die es nun einmal bei der Jobsuche gibt.

Zurück zu meinen Geschichten: Zwar liess ich sie von jemandem suchen (Dank an den Frosch!), doch ich persönlich bezweifele, dass alle gefunden wurden. Und nicht zuletzt gibt es auch, nicht nur von mir, so viele Beiträge, Gedichte, fiktive Liedertexte usw., die für mich in den letzten Jahren ein Quell der Vergnügens und auch des Wissens waren. Und dies alles fand sich nur in dem Forum_eines_Verlages (Heise Online) und insofern ist es auch ein Zeichen dafür, was sich alles im Internet finden lässt. Ich trauere noch heute den X-Men Songs hinterher, die auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Lustige, ironische Texte zu populären Stücken wie "Barbie Girl" oder "Jingle Bells". Ich habe sie nie gespeichert und eines Tages waren sie fort - unwiederbringlich fort. Wenn ich ab und an "I´m an x-men girl" singe oder "mutants bring destruction but they always save the day. Mutant genes, Mutant genes..." dann vergiesse ich manche Träne wegen dieser sicherlich von vielen als lapidar angesehenen Songtexte.

Kein Wunder also, dass mich die Ankündigung, Heise Online würde die Beiträge in den Newsforen, die älter als 2 Jahre sind, löschen, schockierte. Ich gestehe, zuerst an meine Geschichten gedacht zu haben, doch dann fielen mir so viele Dinge ein, die mit alten Beiträgen zu tun haben.

Der K(r)ampf mit Carechild, die Gedichte von helpdesk, die Diskussionen mit Yvan Boeres, die alten Beiträge des Freiherrn v.G., die ersten Kommentare zu den Vorkommnissen des 11.09.2001 - als (ich glaube, es war Tyler Durden) die Katastrophe in ein paar einfache Worte fasste, als er auf ein Posting, das die Worte "Das WTC" enthielt, antwortete: "gibt es nicht mehr". Die vielen Diskussionen, Kommentare, Insiderkommentare und Befürchtungen rund um das Thema WTC und Privatsphäre, um Techniken, Ideen usw, die vielen auch oftmals absurden morgendlichen Diskussionen, wenn einige entweder übernächtigt oder betrunken waren, die dennoch oder gerade deshalb so manche Erkenntnis mit sich brachten - alles sollte also jetzt aus welchen Gründen auch immer (es heisst: diese Beiträge seien nicht mehr interessant) gelöscht werden. Und es gibt nur eine Woche Zeit bis die Löschung in Kraft tritt...

Es ist ein komisches Gefühl für mich, daran zu denken, dass demnächst ein Link zu alten Geschichten nicht mehr funktionieren wird.

Es ist aber auch ein komisches Gefühl, weil es für mich so viele Fragen mit sich bringt, die auch mit der Vorratsdatenspeicherung, mit Datenspeicherung im Allgemeinen usw. zu tun haben. Wenn die Datensparsamkeit konsequent beachtet wird und auch im Privaten Daten gleich wieder auf die digitale Müllhalde wandern - wer wird dann später einmal die Möglichkeit haben, das "digitale Tagebuch" einer modernen Anne Frank zu lesen?

Wer wird in vielen Jahren noch nachlesen können oder hören können, wie es nach dem 11.09.2001 zuging, wer welche Aussagen zum Irak-Krieg machte usw.? Oder wird es nur noch eine glattgeschliffene digitale Archivierung dessen geben, was dann die Sieger welchen Krieges auch immer für angemessen halten?

Ich denke, ich werde doch wieder mein Tagebuch herauskramen ;)

Habt alle einen schönen Tag.

Twister