Saudi-Arabien: Der nicht zu kritisierende Verbündete und Geschäftspartner

Blutgeld, Willkürjustiz und viele politische Gefangene - das Königreich im Spiegel der Menschenrechte

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In Saudi-Arabien gibt es kein Strafgesetzbuch, kritisiert der aktuelle Weltbericht (PDF, S. 603 ff.) der Organisation Human Rights Watch. Die Richter urteilen nach Maßgaben der Scharia und eigenem Ermessen. Die Strafen sind oft drakonisch, Peitschenhiebe werden schon für geringe Vergehen als Strafe ausgesprochen; 2012 wurden nach offiziellen Angaben 76 Menschen geköpft. Im Kontrast dazu stehen für westliches Empfinden ebenso unfassbare Gerichtsurteile, die überführte Mörder gegen Zahlung von Blutgeld auf freien Fuß setzen.

So zum Beispiel im Fall Fayhan Al Ghamdi, der in religösen Fernsehprogrammen Familienwerte predigte und zuhause seine 5-jährige Tochter auf eine entsetzliche Weise derart misshandelte, dass sie nach einem zehnmonatigen Krankenhausaufenthalt an den Folgen der Misshandlungen starb. Al Ghamdi wollte über Folter herausfinden, ob seine Tochter noch Jungfrau war. Seit Mitte November saß Al-Ghamdi in einer Art Untersuchungshaft; ein Gericht setzte ihn Anfang dieser Woche gegen Zahlung von Blutgeld (Diya) frei. Das Geld muss er an die Familie zahlen, zu der er selbst gehört - was bedeuten könnte, dass er weniger bezahlen muss ("The Murderer will share the money he is paying since he is the father; he is part of the family"). Seine Frau hat Einspruch gegen das Urteil eingelegt.

Abgesehen vom deprimierenden Stand der Rechte für Frauen und Mädchen, die immer wieder der Willkür der Religionspolizei ausgeliefert sind, lenkt der HRW-Bericht die Aufmerksamkeit auf die politischen Gefangenen in Saudi- Arabien. Im letzten Jahren sollen Hunderte von friedlichen Demonstranten festgenommen worden sein. Das Innenministerium verbiete öffentlichen Protest, so die Menschenrechtsorganisation. Nach ihren - nicht überprüfbaren - Angaben sollen sich "Tausende in willkürlicher Haft" befinden; Menschenrechtsaktivisten würden politischer Vergehen angeklagt.

Berichtet wird auch über die rechtlich sehr prekäre Situation der über 9 Millionen Fremdarbeiter. Sie sind häufig nicht nur harten Arbeitsbedingungen und langen Arbeitszeiten ausgesetzt, sondern auch der Willkür ihrer Arbeitgeber, in deren Folge sie sich schutzlos mit eigenartigen Anklagen konfrontiert vor saudischen Gerichten wiederfinden können. Zitiert wird das Beispiel von indonesischen Hausangestellten, die nur begrenzt auf die Hilfe von Übersetzern oder Anwälten zurückgreifen konnten, und dem Vorwurf der Hexerei und sexueller Vergehen ausgesetzt waren.

Den lukrativen Waffengeschäften, die westliche Staaten wie die USA - aber auch Deutschland - mit Saudi-Arabien tätigen (oder gerade anbahnen, hält Human Rights Watch das Schweigen der Länder über die Situation der Menschenrechte im Land entgegen:

"Saudi-Arabien ist ein zentraler Verbündeter der USA und europäischer Länder. Die USA kritisieren öffentlich keinerlei suadische Menschenrechtsverletzungen mit Ausnahme in jährlichen Berichten. Einige Kongressabgeordnete drückte ihre Skepsis über die politischen Prioritäten der Politik Saudi-Arabiens aus. Die USA schloß einen Waffendeal über 60 Milliarden Dollar mit Saudi-Arabien ab, das größte Geschäft, das es bislang überhaupt in diesem Bereich gab. Auch die EU versäumte es, Verstöße gegen Menschenrechte im Königreich öffentlich zu kritisieren, obschon der Unterausschuss Menschenrechte des Europäischen Parlaments im Mai letzten Jahres eine seltene Anhörung zu den Menschenrechten in Saudi-Arabien abhielt."