Dieses Kostüm schneidet meinen Hintern in zwei Teile

Außer Kontrolle

Nichts gegen sexy Comicfiguren - aber müssen Anatomie und Logik dabei völlig außen vor bleiben?

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Nur aus wissenschaftlicher Neugierde...

Im letzten auf Deutsch erschienen Abenteuer der X-Men mit Spiderman hat letzterer die Möglichkeit, sich mit Emma Frost (alias White Queen) zu unterhalten, die von der Mission in den Abwässerkanälen alles andere als begeistert ist. Die arrogante, stets weiß gekleidete Miss Frost stöckelt durch die Kanäle und Spiderman, wie immer redselig, fragt sie nebenher, wie ihr früheres Kostüm gehalten hätte. Naütrlich nur aus "wissenschaftlicher Neugierde". Eine Antwort bleibt ihm Emma jedoch schuldig, was bedauerlich ist, denn es wäre interessant zu wissen welche Erklärung die Comicautoren/-zeichner für dieses absurde Kostüm gefunden hätten.

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Emma Frost (White Queen) in kreativer Bekleidung

Während die früheren Kostüme der White Queen zwar sexy, jedoch auch erklärbar waren, hatte sich dies in den letzten Jahren zunehmend geändert. Von der in Unterwäsche gekleideten Schurkin des "Hellfire Clubs" hatte sich Emma zur Chefin der X-Men gewandelt, die mit dem vorher eher langweiligen Scott "Cyclops" Summers eine komplizierte, wenn auch von Liebe und Leidenschaft geprägte Beziehung führt. Ihre Vorliebe für offenherzige Kostüme hatte sie beibehalten, was die männlichen Leser ebenso erfreute wie die weiblichen, die in der kühl planenden Emma eine der beliebtesten Schurkinnen sahen.

Den Zeichnern schienen jedoch die Fähigkeit, sexy Kostüme, die nicht jeglicher Logik widersprachen, zunehmend abhanden zu kommen. Das Ergebnis waren Oberteile, die den Busen leidlich verpackten, dabei aber keinerlei Halt aufwiesen, sondern quasi einfach so um den Busen herum schwebten. Wäre dies beim Posieren der White Queen noch annähernd als realistisch durchgegangen, so wurde es bei Kampfszenen zum Ärgernis, denn mittels sogenanntem Tape hätte ein Oberteil, wie es die White Queen trug, nicht halten können, wenn sie sich stark bewegt. Wie an Hand des nachgemachten Kostüms, das Katherine Curtis trägt, zu sehen ist, wäre eine schmale Kordel im Vorderteil eine andere Möglichkeit, auch diese dürfte im Kampfeinsatz jedoch kaum Schutz vor spontaner Entblößung bieten.

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Katherine Curtis als White Queen. Bild: E. Gillies, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Ist doch alles nur Erfindung

Ein berechtigter Einwand bei der Frage, inwiefern Comics realistisch sein können und sollen, lautet: Ist doch alles nur Erfindung. Natürlich sollen Comics, wie auch Filme, die Phantasie reizen und fremde, nicht existierende Welten entstehen lassen, gerade auch bei Superheldencomics ist dies logisch. Dennoch ist es gerade auch die Herausforderung für den Zeichner, hier nicht einfach die Phantasie überborden zu lassen, sondern eine Logik innerhalb der Phantasie zu finden, schon allein um Langeweile zu vermeiden. So muss Superman eine Schwäche haben, es muss möglich sein, einen Superhelden gefangenzunehmen usw. Deshalb bedarf es gewisser Kniffe. Genauso muss überlegt sein, wer wie angezogen ist und warum. Cyclops beispielsweise bedarf einer Brille bzw. eines Visiers aus Rubinquarz um seine Kraftstrahlen nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.

Diese konsequente Logik, wie sie bei bestimmten Kräften angewandt wird, wird bei der Zeichnung von weiblichen Comicstars, egal ob Heldin oder Schurkin, jedoch gerne außer Acht gelassen. Während die Männer zwar mit Muskelmassen protzen, sich jedoch größtenteils in enge Ganzkörperkostüme pressen, gilt bei den weiblichen Comicfiguren: Weniger (Kleidung) ist mehr.

Mit diesen Problem bzw. diesem Thema hat sich auch die Hobbyzeichnerin und Comicliebhaberin Megan Rosalarian auseinandergesetzt, die stereotype Darstellungen von weiblichen Comicfiguren durch männliche Gegenparts ersetzte und so zeigte, dass nicht allein die Anatomie, sondern vor allen Dingen auch Kleidung, Gestik und Mimik zu der Sexualisierung und der Absurdität beitrugen.

Am Beispiel von Black Canary alias "Blitzschwalbe", deren Kostüm von "praktisch, aber sexy" zu "unpraktisch und sexy" wechselte, wie auch an der Antiheldin Star Sapphire (Sternsaphir) wird klar, dass hier die realen Möglichkeiten der Kleidungsauswahl letztendlich hinter einem "möglichst sexy" zurückweichen mussten.

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"Black Canary" im Film - rührend missglückt. Bild: Warner

Diese immer mehr ins pseudo-pornographische Zeichnen gehende Haltung ist es auch, was Megan Rosalarian bemängelt - Figuren sexy zu zeichnen und zu übertreiben, was Muskeln, Brüste usw. angeht, ist nichts Verwerfliches, doch die Frage ist, warum es Zeichnern nicht gelingt, die Intelligenz, Cleverness und Stärke, die weiblichen Comicfiguren innewohnt, auch in den Comics zu verwenden und sie stattdessen auf reine anatomische Wunderkinder mit soviel nackter Haut wie möglich zu reduzieren.

Turners endlos lange Beine

Eine geradezu monströs anmutende Zeit, was die weibliche Anatomie angeht, war die Hochzeit von Comics der Verlage "Image" und "Top Cow". Michael Turner war es, der die Kunst, Frauen mit unmöglich langen Beinen zu zeichnen, perfektionierte und in "Witchblade" der Polizistin Sara Pezzini sogar eine Erklärung für deren das notwendigste bedeckende Kostüme an die Hand gab: die geheimnisvolle Witchblade, die Pezzini in bestimmten Momenten mit einer Art Knochenpanzer bedeckte, suchte sich selbst aus, wo und wann sie wuchs, weshalb sie praktischerweise dann nur als "gerade noch der Zensur durchgehende" Kostümierung dienen konnte. Turners Zeichnungen waren zwar sexy, doch gerade die Beine waren so lang, dass die so dargestellten Damen letztendlich lächerlich wirkten, der Oberkörper war fast zusammengestaucht im Vergleich mit den gerne auch mittels hochhackiger Schuhe noch einmal verlängerten Beinen. Ein weiteres Markenzeichen bei Image und Top Cow waren die oft ein Eigenleben führenden langen Haare, die in alle möglichen Richtungen sich bewegten. Fairerweise wurde aber auch bei den männlichen Protagonisten nicht an Nacktheit gespart, weshalb Ian Nottingham (Witchblade, Darkness) denn auch schnell zum weiblichen Publikumsliebling avancierte.

Endlose Beine und knochenverhüllte Brüste
Witchblade/ Tomb Raider Cover
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Witchblade und Ian Nottingham (Bild: Top Cow)

Sowohl Image als auch Top Cow hatten allerdings anderen Verlagen eines voraus: sie sparten nicht an sexuellen Anspielungen. Unvergessen blieb Jackie Estacado, ein Mafiaauftragskiller, der bemerkte, dass er über eine jahrhundertealte Kraft, die "Darkness" (Dunkelheit) verfügte. Diese Kraft brachte zwar etliche Vorteile mit sich, doch war Jackie, ein Aufreißertyp, seit Übernahme dieser Macht auch zu einer geschlechtsverkehrfreien Lebensart verdammt, da die Kraft ihn verlassen hatte und er sterben würde, sobald ein männlicher Nachkomme das Leben erhielt. Jackies Abende waren seit dieser Offenbarung von der Gesellschaft etlicher Kosmetiktuchboxen geprägt. Diese sexuelle Offenheit gab es in anderen Comics eher selten. Die Anatomie bzw. die kreative Anatomie Turners schien jedoch etliche Zeichner beflügelt zu haben.

So durfte die englische Heldin der X-Men, Psylocke (Elisabeth Braddock), wundersame Wandlungen durchmachen - von der eher harmlos und bieder wirkenden Möchtegernheldin bis zur heutigen Ninjakriegerin und Schattenwandlerin führte aber nicht nur eine abenteuerliche Biographie, sondern gab es auch zeichnerische Transformationen, die sie entweder mit turnerschen Langbeinen oder aber mit Muskeln zeigten, die sie wie ein Steroidopfer wirken ließen.

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Psylocky als Steroidopfer? (Bild: Marvel Comics)

Posen jenseits der Möglichkeit

Neben den offenherzigen Kleidungsstücken sind es vor allem auch die unmöglichen Posen, die weibliche Comicfans oft gegen die Zeichner aufbringen. Neben den sexuell aufgeladenen Schmollmund-, Hüftwackel- und Herumtänzelposen, die gerade in Kampfszenen eher seltsam und unglaubwürdig anmuten, lässt so mancher Zeichner jegliche Realität außer Acht, wenn es nur gilt, eine möglichst grandiose Pose zu entwerfen. Ein Negativbeispiel dafür, wie dadurch verdrehte Körper entstehen, die nicht einmal mehr sexy wirken können, ist Storm, die von jeher die zeichnerische Phantasie beflügelte. In "Die Arena", einem auch vom Plot her enttäuschenden Paperback, durfte Storm (Ororo Munroe) eine flugtechnische Meisterleistung hinlegen, die jenseits aller anatomischen Möglichkeiten war.

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Storms anatomisch interessantes Flugmanöver

Während sich gerade auch die zeichnerische Vielfalt bei männlichen Superhelden eher positiv bemerkbar machte, sind die Zeichner der weiblichen Helden (und Schurken) bei sexuell aufgeladenen Stereotypen stehengeblieben. Dabei gibt es in vielen Fällen genug Momente, in denen die Damen durchaus so dargestellt werden können, dass auch für die männlichen Fans genug Fleischbeschau übrig bleibt, ohne dass sie auch in Gefahrensituationen im Stringbody auf Stöckelschuhen von dannen laufen müssen. Dass dies auch bei weiblichen Figuren möglich ist, zeigt sich daran, dass eine der beliebtesten X-Women, Rogue, fast immer ein ganzkörperbedeckendes Kostüm trägt, da sie stets Gefahr läuft, durch die Berührung anderer nicht nur deren Kräfte, sondern auch deren Lebensenergie auszusaugen.

Dass der "Sex sells"-Effekt gerade in Bezug auf Kostüme absurde Blüten trägt, haben mittlerweile auch die Texter und Verlage selbst erkannt. In einer Minigeschichte, die eine fiktive Verfilmung der X-Men zum Thema hat, beschwert sich die Darstellerin der Katherine Pryde (Shadowcat) über ihr Kostüm und stellt fest, dass es ihren Hintern in zwei Hälften schneidet.