Kinder sollen die Heimatfront halten

Die Klasse 2b der Gemeinschaftsgrundschule Gummersbach-Bernberg in Nordrhein-Westfalen kooperiert mit der Aktion "Schutzengel für Afghanistan" mit der Bundeswehr

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Angefangen hat alles im Jahr 2010, als eine Grundschulklasse in Gummersbach das Thema "Menschen in Krisengebieten" behandelte. Der daraus entsprungene Aktionismus wirft allerdings Fragen auf: Vor Weihnachten desselben Jahres schickte die damalige Klasse 4 Bilder von Schutzengeln an deutsche Soldaten ins Camp Marmal nach Mazar-e Sharif in Afghanistan. Dabei blieb es aber nicht.

Aufgrund der sehr positiven Resonanz aus der Bundeswehr und den Bemühungen einiger konservativer Politiker wurde ein dauerhafter Kontakt mit der für die Aktion verantwortlichen Grundschullehrerin Mechthild Sülzer hergestellt. Frau Sülzer integrierte fortan aktuelle Informationen zum deutschen Einsatz in Afghanistan in den täglichen Schulalltag ihrer Erstklässler: "Jeden Morgen wird seither bei Unterrichtsbeginn die aktuelle Uhrzeit im Einsatzland und das dortige Wetter verkündet. Außerdem schließen die Kinder die im Einsatz befindlichen deutschen Soldaten täglich ins morgendliche Gebet ein", heißt es in einem Bericht auf der Website der Luftwaffe. Die Luftwaffenunterstützungsgruppe Köln-Wahn will das Projekt im benachbarten Gummersbach bis 2014 aktiv fördern. Doch ist es nicht problematisch, wenn Grundschüler dazu verpflichtet werden deutsche Soldaten in einem umstrittenen Auslandseinsatz zu unterstützten?

Die Grundschule selbst schweigt zu dem Vorgang. Die zuständige Schulamtsdirektorin wollte sich zur "Schutzengel für Afghanistan"-Aktion nicht äußern. Die für Gummersbach zuständige Bezirksregierung Köln begrüßt aber das Engagement der Lehrerin. Sich in die Lage von Menschen in Krisengebieten hinein zu versetzen, schaffe einen gute Zugang zu solchen Themen: "Dabei auch Bundeswehrangehörige in Krisengebieten mit einzubeziehen, die selber Väter oder Mütter von Grundschulkindern sein könnten, um auch deren Ängste und Nöte nachzuvollziehen, lehrt die Kinder auch einen realistischen Blick in Bezug auf die Arbeit derjenigen, die nach ihrem Auftrag vor Ort helfen sollen", so ein Sprecher der Bezirksregierung. Als zuständige Schulaufsichtsbehörde sehe man die Aktion durch Paragraf 2 des NRW-Schulgesetzes gedeckt. Darin wird unter anderem von einer Erziehung "in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung" gesprochen.

Bei Martina Schmerr, Referentin für den Bereich "Schule" beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat die "Schutzengel für Afghanistan"-Aktion Bestürzung ausgelöst: "Nachdem in letzter Zeit verschiedentlich bekannt wurde, dass kleine Kinder bei Kasernenschauen mit Kriegsgerät und Waffen spielen konnten, ist dies ein weiterer unakzeptabler Versuch der Bundeswehr, Kinder und junge Menschen zu beeinflussen und Akzeptanz für Kriegseinsätze zu befördern." Wenn Familien ihre Angehörigen in Krisengebieten "Schutzengel" basteln würden sei das verständlich, aber: "Wenn Klassen in öffentlichen Bildungseinrichtungen dies unter Anleitung tun, dann werden nicht nur der gute Geschmack und die besondere pädagogische Sorgfaltspflicht sehr jungen Menschen gegenüber verletzt, sondern auch der Beutelsbacher Konsens."

Der 1976 geschlossene Konsens verbietet Lehrkräften eine Indoktrination der Kinder und legt zudem fest, dass Unterricht politisch neutral verlaufen muss. Damit widerspricht Schmerr dem Verweis der Bezirksregierung auf das Schulgesetz. Gerade bei Grundschulkindern müsse der Lernprozess umsichtig gestaltet werden: "In der von der Bundeswehr unterstützten Aktion 'Schutzengel für Afghanistan' werden Kinder jedoch schlichtweg benutzt und manipuliert."

Dies sieht Markus Gross vom Bündnis Schule ohne Bundeswehr NRW ebenfalls so: "Ich frage mich, ob das Verhalten der Lehrerin nicht sogar dienstrechtliche Konsequenzen haben müsste." Der Bundeswehr wirft Gross vor, den Soldaten in Afghanistan eine stehende Heimatfront simulieren zu wollen, die es gar nicht gebe.

Armee-Kritiker bereiten gerade eine bundesweite Aktionswoche für militärfreie Bildung und Forschung vor. Vom 24. bis zum 29. September soll es Informationsstände und Aktionen gegen die Nachwuchswerbung und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr geben. Ob es auch in Gummersbach Proteste geben wird, ist bisher nicht bekannt.

Update: Die Bundeswehr hat den Artikel "Engel für Afghanistan" mittlerweile verändert - ohne dies zu kennzeichnen. Im ursprünglichen Artikel war noch von Gebeten der Schüler für die deutschen Soldaten im Ausland die Rede, nun sollen die Schüler die Soldaten nur noch in ihre morgendlichen Gedanken mit einschließen. Screenshot des Original-Artikels gibt:

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