Berliner Polizeikongress und die "globale Cyberkriminalität"

Während Polizeiexperten aus ganz Europa über die globale Verrechtlichung des Internets diskutieren, inszenieren sich manche ihrer Kritiker als Kreuzberger 1980er Jahre Revival

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Die Polizeidichte in Berlin ist in diesen Tagen besonders hoch. Schließlich tagt dort im Kongresscenter in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes am 19. und Februar der 16. Europäische Polizeikongress unter dem Motto "Schutz und Sicherheit im digitalen Raum". Dabei wird schnell deutlich, dass es hier darum geht, die Kontrolle, Erfassung und juristische Einhegung des Internets voranzutreiben. Die Fama vom rechtsfreien Internet, die in manchen Nerdkreisen positiv gewendet zum digitalen Freiraum wurde, war schon immer ein Mythos. Das dürften die auf dem Kongress versammelten Sicherheitsexperten am besten wissen.

Wie neue Delikte kreiert werden

So erklärt der Leiter des Cyber Crime Kompetenzzentrums des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen, Peter Vahrenhorst, Cybercrime sei eigentlich nichts Neues. "Es ist nur eine neue Definition von Kriminalität, die mit anderen Mitteln verübt wird." Delikte wie Warenkreditbetrug, Beleidigung, Mobbing, Kinderpornographie, Schutzgelderpressung und Wirtschaftsspionage würden im Internet nur "anders" ausgeführt. Das Internet habe allerdings auch neue Deliktsfelder entstehen lassen, so Vahrenhorst.

"Skimming, Phishing, Carding, Schadsoftware, Botnetze, DDoS-Attacken, Account Takeovers und die Underground Economy seien hierfür nur einige Beispiele", heißt es in einer Erklärung auf der Homepage des Polizeikongresses. Dort werden diese Phänomene als flexibel und dynamisch bezeichnet - zwei Adjektive, die wenig erklären, aber Eindruck schinden sollen.

Tatsächlich kann man das Schaffen von neuen Kriminalitätstatbeständen mit der Produktion von Krankheitsbildern vergleichen. Zappelnde Kinder gab es schon immer, zu einem Krankheitssymptom wurde das Verhalten erst, als ein Markt für Medikamente gesucht wurde, die sie angeblich beheben sollen. Was auf dem Gesundheitsfeld die Medikamente sind, sind auf der juristischen Ebene die Gesetze. Man muss nur ein Verhalten finden, das als delinquent erklärt wird, damit sie zur Anwendung kommen. Die Kriminalisierung von Verhalten, das bisher nicht sanktioniert wurde, zieht sich durch die gesamte Geschichte der Durchsetzung des Rechts und der Gesetze.

So waren das Sammeln von Holz, das Pflücken von Früchten und das Jagen in den Wäldern solange straflos, bis sich im Zuge der Durchsetzung der Feudalgesellschaft Adelige als Eigentümer aufspielten und in den Alltagspraktiken der Landbevölkerung einen Angriff auf ihr Eigentumsrecht sahen. In der Folge wurden Gesetze geschaffen, die dieses Verhalten kriminalisierten und staatliche wie auch semistaatliche Apparate, die die Verbote durchsetzen. Nach diesem Muster funktioniert auch die Verrechtlichung des Internets.

Weil es für eine effektive Durchsetzung der neuen Gesetze sinnvoll ist, nicht nur auf Repression, sondern auch auf Konsens zu setzen, geht es nun darum, die neuen Delikte dem Großteil der Internetnutzer so zu vermitteln, dass sie sie nicht nur akzeptiert, sondern möglichst noch verteidigt werden. Schließlich ist es in der heutigen säkularen Gesellschaft nicht mehr möglich, wie beim Jagd- und Sammelverbot, die Gesetze einfach als Gottes Wille erklären zu lassen. Die Versuche, hier einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, zeigen sich schon in der Wortwahl des Kongressmottos: Gegenwärtig ist es allerdings fraglich, ob vor allem bei der jüngeren Generation der aktiven Internetnutzer die Verrechtlichung des Netzes als "Schutz und Sicherheit im digitalen Raum" verkauft werden kann, auch wenn von den Behörden der Kampf gegen Kinderprostitution besonders hervorgehoben wird, um die gesellschaftliche Akzeptanz herzustellen. Internetnutzer wissen allerdings, wie schnell ein heruntergeladener Film oder ein Song zur Cyberkriminalität werden kann.

Von der europäischen zur globalen Aufrüstung

Auf dem Polizeikongress wird deutlich, wie weit die länderübergreifende Aufrüstung in Sachen "Cyberkriminalität" schon vorangeschritten ist. So gibt es das European Cybercrime Centre, das bei der Europäischen Polizeiagentur Europol in Den Haag angesiedelt ist. Doch auch der europäische Raum ist den Polizeiexperten längt zu eng. Mit dem bei Interpol angesiedelten Global Complex for Innovation soll ein Wunsch der Polizei umgesetzt werden, der auf der Kongresshomepage so formuliert wird: "Sie braucht in Echtzeit Zugang zu Informationen, die über ihre eigenen Grenzen hinausgehen."

Wie in den vergangenen Jahren melden sich auch in diesen Tagen die Kritiker des Polizeikongresses zu Wort. Am Nachmittag des 19. Februar organisierten sie eine Kundgebung vor dem Kongresszentrum, deren Focus auf dem Kampf der Flüchtlinge gerichtet ist. Allerdings gab es in den vergangenen Wochen bereits einige Aktionen der autonomen Szene, die als Protest gegen den Polizeikongress verstanden wurde. Das Unbrauchbarmachen von Kameras im öffentlichen Raum gehörte ebenso dazu wie eine unangemeldete Demonstration am vergangenen Samstag in Kreuzberg, die auch in autonomen Kreisen kritisch ausgewertet wird.

Auffällig ist die Antiquiertheit der Aktionsform. Während die Sicherheitsexperten die globale Überwachung des Netzes anstreben, diskutiert die autonome Szene darüber, ob es nun ein Erfolg war, dass sie ihre Demonstration ca. einen Kilometer weit ohne Polizeibegleitung durchführen und auch nach der Auflösung noch einigen Sachschaden verursachen konnte. Dabei fällt wohl niemandem auf, dass in den letzten Jahren in Berlin ohne kritische Begleitung ein neuer Stadtteil entstanden ist, in dem nun wahrscheinlich erst 2015 der Bundesnachrichtendienst seine Zentrale eröffnen wird. Die Verzögerungen beim Bau sind weder kritischer Nachfragen der Parteien noch radikalen Protesten der außerparlamentarischen Linken geschuldet. Es sind wie beim Berliner Flughafen bauliche Mängel, die die Eröffnung verzögern und den Bau verteuern.