Victim Blaming durch den Bundesinnenminister – und ein Outing

Außer Kontrolle

"Victim Blaming" bedeutet, dass Opfer zu Tätern gemacht werden bzw. ihnen unterstellt wird, dass sie selbst schuld an dem sind, was ihnen zugestoßen ist. In der NSA-Affäre wird dies vor allen Dingen vom Bundesinnenminister betrieben.

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Als die ersten Infos rund um die sogenannte NSA-Affäre ans Licht kamen, konnte bereits in Foren nachgelesen werden, wie manche darüber dachten, dass die USA doch, dezent gesagt, recht großflächig abhört und spioniert. "Wer Facebook benutzt, ist selbst schuld", hieß es da; auf die datenschutzkritische Spackeria innerhalb der Piratenpartei wurde verwiesen und so galt es, exzessives "Victim Blaming" zu betreiben. "Victim Blaming" bedeutete in diesem Fall, dass diejenigen, die von dem Ausspähen betroffen waren, entweder sofort der Nachlässigkeit oder der Dummheit bezichtigt wurden oder aber sie mit einem virtuellen Schulterzucken abgefertigt wurden – selbst schuld eben. Schließlich, so hieß es, könne sich doch jeder absichern, mit VPN, Tor, Verschlüsselung usw.. Oft ergaben diese Argumente nicht einmal entfernt einen Sinn; wenn beispielsweise von Telefonüberwachung gesprochen wurde und der Antwortende auf PGP (Pretty Good Privacy, einer Möglichkeit der Verschlüsselung von Emails) sprach.

Dieses "Victim Blaming" wurde besonders exzessiv auch vom Bundesinnenminister betrieben, was für die Bevölkerung einiges darüber aussagt, wie das Verhalten der USA von Seiten der bundesdeutschen Regierung beurteilt wird. Noch bevor sich Hans-Peter Friedrich öffentlich an die Seite Pofallas stellte und alle Fragen für beantwortet erklärte, empfahl er, sich durch Verschlüsselungstechniken und Virenscanner gegen das Ausspähen wie durch die NSA zu schützen. Ein Ratschlag, der nicht nur von technischem Unverständnis zeugte, sondern auch hier wieder die Opfer zu Tätern machte und insbesondere die Rolle der Regierung, die es in der Hand hätte, hier sehr konkret Forderungen an die USA zu erheben und sich gegen das Vorgehen der NSA zu wehren, herunterspielte. Eine kleine, unbemerkte Randnotiz war die Information, die sich auf dem Blog Devianzen.de wiederfand. Das Blog, das vom Bürgerrechtler Michael Ebeling geschrieben wird, befasst sich mit aktuellen Themen, greift jedoch auch immer wieder Älteres auf, bei dem Herr Ebeling nachhakt. In Bezug auf die Verschlüsselungshinweise des Bundesinnenministers findet sich im Blog ein Erlebnis im Bundesinnenministerium, das die Absurdität des Ganzen noch einmal deutlich herausstellt.

Begonnen hat es mit der Aussage des Bundesinnenministers: "verschlüsselungstechniken, virenabwehrprogramme – all diese fragen müssen noch mehr in den fokus gerückt werden. die menschen müssen sich bewusst werden, dass kommunikation im netz auch einen schutz bedarf und auch das ist eine diskussion, die wir vorantreiben werden." (Kleinschreibung aus dem Blog übernommen). Michael Ebeling führt in seinem Blog an, wie ein Referent des Bundesinnenministeriums an einem Tag der offenen Tür auf die Frage reagierte, ob dem Bundesinnenministerium, insbesondere auch dem Bundesinnenminister selbst, denn auch verschlüsselt gemailt werden kann.

Die Antwort auf die Frage lautet, was verwunderlich ist, wenn Herr Friedrich doch extra jüngst betonte, dass die Anwender ihre Kommunikation im Netz schützen sollten, nicht etwa "selbstverständlich, unsere öffentlichen Schlüssel finden Sie hier...". Nein, vielmehr weist der Referent darauf hin, dass verschlüsselte Kommunikation nicht möglich ist, lediglich ein Kontaktformular stünde zur Verfügung. Darauf angesprochen, dass dies also unverschlüsselte Kommunikation bedeute, teilt der Referent weiterhin mit, dass die verschlüsselte (er spricht von kryptischer) Kommunikation den Sicherheitsbehörden vorbehalten bliebe. Allerdings könne ja ein Brief geschickt werden, der sei dann abhörsicher.

Dieses Erlebnis zeigt deutlich, dass gerade auch das Bundesinnenministerium bisher nicht willens ist, dem Bürger auch überhaupt die Möglichkeiten an die Hand zu geben, möglichst abhörsicher zu kommunizieren. Damit steht es allerdings nicht alleine da – Redaktionen, die sich seit Wochen mit dem Abhörskandal beschäftigen, bieten oft ebenso wenig die Schlüssel an, um mit ihnen zumindest ein wenig abhörsicher zu kommunizieren wie Ärzte, Therapeuten, Seelsorger, Journalisten oder Politiker. Wer nach den Schlüsseln fragt, erhält als Antwort oft genug "zu kompliziert, bieten wir nicht an", andere nutzen sowieso dauernd verschiedene Rechner und wollen nicht "ihre Schlüssel dauernd herumtragen", wieder andere folgen dem "wenn es mehr nutzen, mache ich auch mit"-Mantra und sehen ihre Vorbildfunktion nicht.

Gerade die Politik hätte es nicht nur in der Hand, für vernünftige Rahmenbedingungen zu sorgen, sondern auch schlichtweg mit gutem Beispiel voranzugehen und nicht nur die Opfer des NSA-Abhörens mit "schützt euch halt" abzufertigen. Was die Politiker derzeit veranstalten, allen voran der Bundesinnenminister, ist nur der alte "wir sind machtlos"-Wein in neuen Schläuchen.