Putsch gegen deutschen Pharmakontrolleur

Muss der Leiter eines Kontrollinstitutes gehen, weil er im Interesse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Arzneiindustrie vorgegangen ist?

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Union und FDP droht ein weiterer Lobbyismus-Skandal: Der oberste Pharmakontrolleur Deutschlands, Peter T. Sawicki, wurde seines Postens enthoben. Die Leitung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) entschied heute Nachmittag nach einer mehrtägigen Debatte über die Entlassung des Pharmakritikers. Demnach soll der Vertrag des bisherigen Institutsvorsitzenden im August auslaufen und dann nicht verlängert werden. Offizielle Begründung: Sawicki habe sich ein Dienstauto geleast, ohne zuvor eine notwendige Genehmigung eingeholt zu haben. Doch es gibt auch Kritik an der Kritik: Zum einen steht dem Institutschef ein solches Auto zu, zum anderen hatte er nach eigenen Angaben mit der Leitung des Hauses abgesprochen, sich selbst um die Bestellung des Wagen zu kümmern. Ist Sawicki also in eine Falle der Pharmaindustrie und ihrer in Berlin regierenden Unterstützer gelaufen?

Für diesen Vorwurf spricht die Kräfteverteilung im Institutsrat. Die Kassenvertreter und auch der Vorstand der Stiftung, die das Institut trägt, hätten den pharmakritischen Funktionär gerne behalten. Sie sahen sich jedoch einer Allianz entgegen, der nicht nur FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler angehörte, sondern auch Vertreter der Ärzteschaft und der Krankenhausträger. Ihnen sei seine Arbeit ein Dorn im Auge gewesen, sagte Sawicki in der ARD. Als Leiter des IQWiG hatte er stets darauf gedrängt, die Kosten für Arzneimittel niedrig zu halten. Setzte ein Pharmakonzern die Preise zu hoch an, lag es in der Befugnis Sawickis, die Krankenkassen von der Kostenübernahmepflicht zu befreien.

Der Kampf, den das Institut dabei seit seiner Gründung 2004 ausfocht, hatte erhebliche wirtschaftliche Implikationen. Nach Angaben des letzten Arzneiverordnungsreports vom September vergangenen Jahres ließ die weitgehend unkontrollierte Preispolitik der Pharmariesen die Ausgaben für Markenmedikamente im letzten Berechnungszeitraum auf ein neues Rekordhoch von 29,2 Milliarden Euro steigen. Schuld daran waren vor allem Präparate gegen Krebs und Rheuma. Als besonders klares Beispiel nannte der Herausgeber des Reports, Ulrich Schwabe, die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. In Deutschland müssen die Kassen für die Grundimmunisierung einer Patientin im Schnitt 477 Euro bezahlen. In den USA sind es umgerechnet nur 247 Euro. Gut sechs Milliarden Euro ließen sich durch gezielte Eingriffe in die Preispolitik einsparen, rechneten die Autoren damals vor. Nach dem bevorstehenden Rausschmiss Sawickis aus dem IQWiG stehen die Chancen dafür nun erheblich schlechter.

Dass der Arzneimittelprüfer „gegangen wurde“ lobbyismus-arzneipruefer-sawicki-wird-gegangen/50064141.html: meint auch Kai Beller in der Financial Times Deutschland. Der Autor verweist auf die sich mehrenden Fälle von Lobbyismus unter Union und FDP. Unter Gesundheitsminister Rösler sei mit Christian Weber bereits ein „Verbandsfunktionär der privaten Krankenversicherer zum Abteilungsleiter für Grundsatzfragen“ gemacht worden. Im Umweltministerium leite unter Ressortchef Norbert Röttgen (CDU) ein ehemaliger Mitarbeiter des Energieriesen e.on, Gerald Hennehöfer, die Abteilung Reaktorsicherheit. Und die FDP hatte unlängst mit einer Millionenspende vom Hotelkonzern Substantia AG von sich Reden gemacht.

Nichtregierungsorganisationen und Parteien der Opposition laufen deswegen gegen den Rauswurf Sawickis Sturm. Die Klientelpolitik der schwarz-gelben Koalition habe einen neuen Tiefpunkt erreicht, meint der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Nach Ansicht der Gesundheitsexpertin der Linkspartei, Martina Bunge, würden mit der umstrittenen Personalentscheidung „alle enttäuscht, die sich ein unabhängiges Gegengewicht zur Übermacht der Pharmakonzerne wünschen“. Der Staatssekretär aus dem Rösler-Ministerium, Stefan Kapferer, dementierte diese Darstellungen. Es werde auch nach Sawickis Rausschmiss „keine Lockerung der Prüfregeln geben“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Was so stimmen mag. Die Frage ist nur, wie die Prüfregeln unter Sawickis Nachfolger ausgelegt werden. Eine Personalentscheidung wurde indes noch nicht getroffen, die Verhandlungen dauern an.