Es gibt nicht mehr nur Frauen und Männer oder Mütter und Väter

Australien hat als Alternative zum Geschlecht ein x eingeführt, Großbritannien will die Möglichkeit anbieten, im Pass nur noch erstes und zweites Elternteil anzugeben

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Allmählich werden die neuen Geschlechts- und Reproduktionsverhältnisse auch offiziell anerkannt. Wir entfernen uns von der Ideologie, dass Heterosexualität die Norm ist, dass Familien aus Mann und Frau bestehen, dass die Natur festlegt, wer Mann und Frau ist und bleiben wird, dass nur heterosexuelle Paare Kinder kriegen können. Die Wirklichkeit ist, auch dank Medizin, also der Möglichkeiten der Geschlechtsumwandlung und der künstlichen Befruchtung, pluraler geworden.

Das geschieht parallel zu den Gesellschaften, die nicht mehr von einer Ethnie, einer Sprache oder einer Religion dominiert werden, sondern durch Multikulturalismus gekennzeichnet werden. Gegen beide Entwicklungen setzen sich Konservative entgegen, die die Welt so behalten wollen, wie sie einst auch nur in der Ideologie bestanden hat. Schon immer haben sich die Völker durchmischt und neue Kulturen hervorgebracht, schon immer haben Menschen sich nicht ins Korsett von Mann oder Frau und Heterosexualität zwängen lassen.

Auch wenn die Konservativen und die Retro-Kultur verzweifelt gegen die Öffnung der Gesellschaften zu mehr Pluralität und Toleranz kämpfen, scheint es doch Fortschritte zu geben. Die Anerkennung der homosexuellen Ehen wird ebenso größer wie die Duldung, dass auch homosexuelle Paare rechtmäßig Kinder haben können. In Australien wird auch nicht mehr verlangt, dass eine Person erst eine Geschlechtsumwandlung nachweisen muss, um im Pass eine männliche oder weibliche Identität erhalten zu können. Zudem ist es möglich, das Geschlecht unbestimmt zu belassen. Statt männlich oder weiblich kann man x eintragen lassen. Alles offen also.

Die britische Regierung will nun auch Kinder von homosexuellen Paaren gegen Diskriminierung schützen. Anstatt die Namen von Mutter und Vater angeben zu müssen, kann man auch den ersten und zweiten Elternteil angeben, also "parent 1" und "parent 2". Zudem soll nach australischem Vorbild die Möglichkeit bestehen, das Geschlecht nicht festlegen zu müssen, sondern "x" zu wählen.

Das erregt zwar schon den Unwillen der traditionellen Familienideologen, aber man könnte sich fragen, warum in Zeiten der künstlichen Befruchtung überhaupt noch die Eltern angegeben werden müssen. Zur Identität, wenn es nicht um die genetische Identifizierung geht, würde die persönliche mit Namen, Adresse und etwaigen biometrischen Angaben auch genügen.

Ähnlich hat in Deutschland das Bundesverfassungsgericht am 11. Januar 2011 argumentiert:

"Wie das Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 1) festgestellt hat, kann angesichts des heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das Vorliegen ernsthaft und unumstößlich empfundener Transsexualität allein daran festgestellt werden kann, dass der Betroffene mit allen Mitteln bestrebt ist, seine Geschlechtsorgane und -merkmale als Irrtum der Natur durch operative Geschlechtsumwandlung zu korrigieren. Vielmehr ist die Fachwelt inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass geschlechtsumwandelnde Operationen auch bei einer weitgehend sicheren Diagnose der Transsexualität nicht stets indiziert sind. Ob eine Geschlechtsumwandlung medizinisch vertretbar und anzuraten ist, muss nach medizinischer Diagnose bei jedem Betroffenen individuell festgestellt werden (vgl. BVerfGE 115, 1, 21).

Die Dauerhaftigkeit und Irreversibilität des empfundenen Geschlechts eines Transsexuellen lässt sich nicht am Grad der Anpassung seiner äußeren Geschlechtsmerkmale an das empfundene Geschlecht mittels operativer Eingriffe messen, sondern ist daran festzustellen, wie konsequent der Transsexuelle in seinem empfundenen Geschlecht lebt und sich in ihm angekommen fühlt (vgl. Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, a.a.O., S. 258, 260 f.). Durchgeführte geschlechtsumwandelnde Operationen sind deshalb zwar ein deutliches Indiz für die Transsexualität einer Person. Werden sie aber zur unbedingten Voraussetzung für die personenstandsrechtliche Anerkennung gemacht, wird von einem Transsexuellen verlangt, sich körperlichen Eingriffen auszusetzen und gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzunehmen, auch wenn dies in seinem Fall nicht indiziert und dazu für die Feststellung der Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität nicht erforderlich ist. Damit setzt der Gesetzgeber an den Nachweis des dauerhaften Vorliegens einer Transsexualität eine übermäßige Anforderung, die den zu schützenden Grundrechten der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht hinreichend Rechnung trägt."