Zwei Beispiele für Qualitätsjournalismus

Außer Kontrolle

Der Qualitätsjournalismus muss erhalten bleiben! Aber was versteht man darunter? Zwei aktuelle Beispiele zeigen, wie sehr die Eigeneinschätzung von der des Publikums abweicht

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Es ist noch nicht lange her, da forderten etliche Nachrichtenportale bzw. Verlage ihre Leserschaft auf, doch auf den Einsatz des Adblockers zu verzichten, jenem Werkzeug, das die Werbung auf den aufgerufenen Seiten größtenteils herausfiltert. Der Grund für diese Bitte: Die Verlage sahen die Zukunft des Qualitätsjournalismus gefährdet, wieder einmal, so war es auch beim Leistungsschutzrecht. Kurz gesagt, meinten die Verlage, dass durch das Herausfiltern der Werbung genau eine mögliche Geldeinnahmequelle versiegt wie dadurch, dass Google kostenfrei auf bestimmte Seiten verweisen darf, wobei Google noch Anrisstexte bietet.

Sowohl das Leistungsschutzrecht wie auch die Frage der Finanzierung des Journalismus sollen hier allerdings außen vor bleiben, vielmehr haben mich zwei Beispiele in jüngster Zeit, nämlich in den letzten Tagen, dazu gebracht, mich erneut zu fragen, was unter Qualitätsjournalismus verstanden wird

Stimmt schon irgendwie – eine Filmkritik ohne Sachkenntnis

Begonnen hat es vor einigen Tagen mit einem Artikel, der sich mit dem neuesten Film der "Marvel"-Schmiede befasst: Wolverine – der Weg des Kriegers. Wolverine, der spätestens seit den X-Men-Filmen auch hierzulande ein Begriff ist, rückt hier zum zweiten Mal in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Nun sind Filmkritiken stets problematisch, weil sie natürlich auch subjektiv sind und daher auch oft eben nicht die Meinung der Mehrheit der Leser widerspiegeln. Doch nicht diese Subjektivität war hier der Stein des Antstoßes, sondern die Tatsache, dass sich in einem sehr kurzen Artikel (ca. 4500 Zeichen ohne Leerzeichen) eine Vielzahl von Fehlern verbarg, die auch ein Nicht-Wolverine-Fan durch kürzeste Recherche hätte vermeiden können.

Schon im Anrisstext fand sich ein Übersetzungsfehler, der sich auch in dem Rest des Artikels niederschlagen sollte – "Wolverine" wurde hier mit Wolf übersetzt, weshalb also "Wolverine mit dem inneren Wolf kämpfte" und auch im weiteren Artikel dann noch einmal auf das "Rudel" Bezug genommen wurde, was natürlich bei einer korrekten Übersetzung, in der "Wolverine" ein Vielfraß ist, keinen Sinn ergeben hätte. Es folgte ein Fehler bei der Bezeichnung des Filmes (so wurde als Titel der des ersten Films angegeben), die Aussage, Wolverine stünde hier das erste Mal im Zentrum eines Filmes (dabei ist dies bereits der zweite Film) und die Aussage, er hätte mangels der Kontrolle seiner Kräfte, während er schläft, Jean Grey in "Der Letzte Widerstand" getötet. Gerade den letzten Fehler nahmen die Kommentierenden übel, war doch Jean Grey nicht nur Wolverines große Liebe, sondern auch das große Opfer in "Der Letzte Widerstand", welches durch Wolverine unter Schmerzen getötet wurde, um die Welt zu retten.

Kurz gesagt zeigte sich also, dass der Artikel nicht nur mit heißer Nadel gestrickt worden war, sondern auch von jemandem stammte, der sich wenig bis gar nicht damit befasst hatte, worüber er schrieb. Dass aus "Jean Grey" "Jane Grey" wurde, war da nur das I-Tüpfelchen. Die Moderatoren der "Welt", die letztendlich jeden Kommentar freischalten müssen, schwiegen längere Zeit, bedankten sich dann kurz bei den Kommentierenden und meinten, man würde "der Sache nachgehen", doch nach fast 24 Stunden waren weiterhin etliche Fehler nicht ausgebessert worden, was zu Verdruss führte. Schließlich wurde noch ein "dickes Lob" an die Kommentatoren verteilt, damit war dann die Sache ausgestanden, wobei der sachliche Fehler in Bezug auf Jean Grey weiterhin zu finden ist – alle anderen Fehler wurden stillschweigend verbessert, einen Hinweis auf die Korrekturen oder ein Statement der Autorin selbst vermisst man.

Da ich selbst u.a. im Welt-Forum kommentiere, ärgert mich diese Haltung zusehends. Lapidar wird den Forenten gedankt, die Fehler werden einfach einmal unter den Tisch gekehrt, als wäre nichts gewesen, eine tatsächliche Kommunikation mit den Forenten findet nicht statt, viel Kritik wird schlicht und ergreifend schon durch die Moderation nicht einmal veröffentlicht. Dabei würde der Artikel in seiner Reinform, dem neuen Artikel gegenübergestellt, zeigen, wie wenig bei selbst kurzen Texten auf Sachkenntnis und Genauigkeit geachtet wird. Der Umgang mit den Forenten bzw. den Fehlern stieß mir dann ebenso sauer auf – warum nicht mal wirklich direkt auf die einzelnen Leute eingehen, warum nichts vom Autor selbst, sondern von der anonymen Moderation?

Katzenliebhaber und ihre Schrullen

Noch mehr allerdings deprimierte mich ein "Artikel" in der FAZ. "Phantastisches Tierfutter" lautete die Überschrift und es sollte, glaubt man dem Anrisstext, darum gehen, ob sich ein Tierhalter, der seiner Katze besonderes Tierfutter kauft, sich ggf. selbst nach mehr Zuneigung sehnt. Unter "besonderes Tierfutter" versteht man bei der FAZ auch laktosereduzierte Milch und zeigt dabei eindrucksvoll, dass man das Thema offensichtlich nicht einmal anreißen wollte, denn dass die normale Kuhmilch beispielsweise höchstens für junge Katzen genießbar ist, hat sich wohl noch nicht herumgesprochen.

"Das Beste für die Liebsten in alphabetischer Reihenfolge" kündigt der Anrisstext an und tatsächlich besteht der ganze Artikel nur aus einer Auflistung von diversen Katzenfutterprodukten, wobei wohl der Eindruck entstehen soll, jegliches nicht dem Standard entsprechende Futter sei schon ein Zeichen für übertriebene Tierliebe – so wird denn auch z.B. ein Spezialfutter für Tiere mit Nierenproblemen ebenso aufgelistet wie ein "Huhn in Gelee". Außer gelegentlich eingestreuten Ergänzungen in Klammern wie z.B. "reich an Vitaminen und Taurin" wird diese Auflistung vom Artikelschreiber nicht weiter kommentiert oder gar in irgendeiner Weise aufbereitet. Lediglich die Anbieter der aufgelisteten Katzenfutterprodukte werden noch erwähnt, damit ist der Artikel dann auch schon beendet.

Der Artikel ist unter "Aktuell / Gesellschaft" eingeordnet und es stellt sich die Frage, was genau eine solche Auflistung, die eher an eine versteckte Werbung, denn an einen Artikel denken lässt, aussagen soll. Dass Tiere mit speziellen gesundheitlichen Problemen trotzdem das Allroundfutter bekommen sollen? Dass manche Produkte nur deshalb notwendig sind, weil andere so ungesund sind? Dass "Huhn in Gelee" übertriebener Luxus ist? Diese Auflistung von Produkten gibt keinerlei Aufschluss darüber, was der Artikelschreiber bezweckte.

Es sind nicht die ersten und es werden auch kaum die letzten "Artikel" sein, die letztendlich davon zeugen, wie sehr gerade diejenigen, die von Qualitätsjournalismus reden, sich bereits von diesem entfernt haben und doch gerade diese Qualität immer wie eine Fahne vor sich her tragen, um ihre Ansprüche anzumelden. Aber es sind für mich typische Beispiele dafür, wie gerade auch die "großen Zeitungen" ihre Angebote immer mehr mit lieblos hingeklatschten Inhalten füllen und dann zur gleichen Zeit hochmütig auf Blogger und Quereinstiegsjournalisten herabsehen.