Gestalkt, gequält, hingerissen und keusch

Außer Kontrolle

Obama verspricht den "Change" beim Thema Abtreibung und zeitgleich kommt der Keuschheitsfilm schlechthin ins Kino. Es darf mitgeschmachtet werden. Und den Purity-Ring bitte auch gleich bestellen.

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"Ich werde warten", lautet schon seit Jahren die Lösung schlechthin, wenn es um Familienplanung in den USA geht. In Kitschromanen lassen sich die Damen, vom sexuellen Rausch gefangen, gerne einmal mit ein bis mehreren Fingern verwöhnen, auch beim Herrn darf Hand angelegt werden, aber "so richtig Sex haben, also so mit Penis in der Vagina", das darf nicht sein (Analsex wird sowieso nie erwähnt). Abtreibung führt regelmäßig zu endlosen Depressionen oder ist gar undenkbar, egal wie die Schwangerschaft zustande kam...

Glücklicherweise hat Obama wenigstens einen "Change" eingeläutet, indem er die rigide Anti-Abtreibungspolitik seines Vorgängers nicht weiterführt, doch quasi als cineastische Unterstützung der Puritykampagne kommt nun "Twilight" in die Kinos.

Wer die Bücher der "Twilight"-Serie nicht kennt: es ist simpel zu erläutern, worum es geht. Der (wie könnte es anders sein?) bildschöne Vampir Edward verknallt sich in (Isa)bella Swan (der schöne Schwan), will sie am liebsten aussaugen, obwohl er sonst ja doch eher auf Tierblut steht, aber hält sich natürlich zurück, da er sonst nicht aufhören könnte, an ihr zu knabbern und zu saugen. Die weiteren Teile drehen sich darum, wie Edward seine Angebetete vor einem anderen Vampir rettet (und den - natürlich, weil es nicht anders geht - zerstückeln und verbrennen lässt), sich von Bella verabschiedet, weil die Gefahr zu groß für sie wird, sie verlässt, am Schluss wiederkommt und schließlich und endlich die beiden dann doch ein mutiertes Baby bekommen (nach der Hochzeitsnacht). Natürlich wird alles gut, ganz klar, aber sowohl die Buchreihe, als auch der derzeit in den Kinos zu sehende Film, der den peinlichen Titel "Bis(s) zum Morgengrauen" trägt (das Buch wurde genauso betitelt, wofür meiner Meinung nach der Verantwortliche gebissen gehört), sind sozusagen ein riesiges Werbeschild für die Keuschheit vor der Ehe und für ein reaktionäres Frauenbild, das aus Heim und Familie besteht.

Von Anfang ist die arme Bella schlichtweg ein rosamunde-pilcher-artiges Hascherl mit Rehaugen und geöffneten Lippen, das eigentlich nur als Spielball für die Herrn der Schöpfung dient. Womit sie allerdings ganz zufrieden zu sein scheint, denn weder im Buch noch im Film hat sie irgendwelche Eigeninteressen. Bella geht zur Schule, geht mit Daddy essen, macht ihm auch zu Hause einmal das Essen - und das war es dann auch. Zwar weiß sie mit dem Internet umzugehen, aber sie hört keine moderne Musik, ihr Zimmer hat keine Poster an den Wänden, sie ist weder rebellisch, noch benutzt sie Schimpfworte oder dergleichen (von Alkohol, Nikotin usw. ganz zu schweigen).

Als sie Edward, den hübschen vegetarischen Vampir von nebenan, trifft, gibt es dann auch nur noch zwei Dinge: die Familie und Edward. "An Stelle von jemandem zu sterben, den man liebt, scheint mir ein guter Weg", sinniert die vom Tode durch den bösen Vampir James bedrohte Bella und macht sich wacker auf den Weg, um sich denn auch durch James töten zu lassen, so nur Mom, Dad und auch die neue Familie rund um Edward in Sicherheit sind.

Ach ja - die Familie. Jeder kämpft für die Familie. Bella für Mom, Dad und Edward, die Vampirfamilie um Bella, die ja jetzt irgendwie dazugehört, Edward um Bella... "Die Familie lässt man nicht im Stich." heißt es vielsagend und man fühlt sich wie bei "Stirb Langsam", nur sind die Vampire viel schöner und können allesamt als Postermotive oder Topmodels dienen, selbst die Bösen unter ihnen sehen aus wie die nächste Generation Rockstar, nur dass sie barfuß durch den Wald vagabundieren, statt ein hübsches Haus wie die Guten zu haben.

Dass am Schluss Bella gerettet wird, weil Edward das Jamesche Vampirgift aus ihr heraussagt, aber dank seiner unendlichen Liebe den Willen entwickelt, nicht der Sucht nachzugeben und sie zu "seiner Bella" (sprich: einer Vampirin) zu machen, ist nicht wirklich eine Überraschung. Natürlich muss der Böse auch sterben, weil er Bella ja immer nachstellen würde (ist der gute Edward etwa eifersüchtig?), und Bella kann somit dem freundlichen Stalker von Nebenan weiter die Lippen entgegenrecken. Denn praktischerweise kann Edward alle Gedanken (außer Bellas lesen), er schlüpft in ihrem Zimmer ein und aus, wie er mag, und folgt ihr mit dem Auto - natürlich nur um sie zu beschützen.

Warum ist das also überhaupt ein Thema?

Weil es ein Frauenbild propagiert, das die holde Weiblichkeit auf das Warten auf den Richtigen, auf die Familie, auf die völlige Aufgabe des eigenen Ichs reduziert. Bella existiert nicht eigenständig, sie ist nur die Verlängerung der Männer um sie herum. Mal ist es ihr Vater, dann (demnächst) ihr Freund Jacob, dann Edward. Das reicht für sie als Lebenszweck. "Ich will nur mit Dir zusammensein." darauf reduziert sich alles, dafür erträgt man denn auch Stalking und Schmerzen jeglicher Art. Die religiöse Zugehörigkeit der Autorin (Stephenie Meyer gehört den Mormonen an) wird in diesem Film umso deutlicher. Das Hohelied der Familie und der Keuschheit - gesungen in den Kinos um die Ecke.

Keine Frage: der Film ist trotz alledem ein wunderbarer Schmachtfetzen, nicht nur für Teenies. Der Darsteller des Edward, der blasshäutig und rotlippig aussieht wie ein gerade aus dem Grad gebuddelter James Dean, wird das nächste große Idol für Jugendliche werden und sich dumm und dämlich verdienen. (Wobei er schon in "Harry Potter" gut aussah, aber als Edward ist er quasi der - pardon - Schlüpferstürmer par exzellence. Wie er als "lonely wolf" (insiderwitz) durch die Schule läuft, Bella voller Leidenschaft und Qual ansieht, ihr anfangs krampfhaft aus dem Weg geht und ihr sogar im Zimmer einen keuschen, kurzen, melodramatisch ausgeleuchteten Kuss geben darf... das dürfte wohl nur Kaltblüter kalt lassen.). "Wie lange bist Du schon 17?", fragt Bella mit wie immer geöffneten Lippen und Edwards fast tonlose Antwort lautet: "Eine Weile."

Denn der Tod ist logischerweise auch der zentrale Punkt - wer stirbt wann und wie? "Ich sterbe", stellt Bella am Schluss fest, die 17jährige, die sich ihrer eigenen Vergänglichkeit bewusst ist. Dies könnte philosophisch wirken, wäre da nicht der Aspekt, dass es auch hier wieder nur darum geht, dass sich dies auf ihre Zeit mit Edward auswirken kann. Das gesamte Leben auf eine Liebe, eine Person, reduziert, völlige Abhängigkeit, das ist die Aussage des Films. Dass weder Edwards noch Bellas Psyche eine Rolle spielen, fügt sich da nahtlos in das Ganze ein - hier geht es nicht um geistige Gemeinsamkeiten, hier geht es um körperliche Abhängigkeit. "Dein Duft ist wie meine ganz persönliche Droge." sagt Edward treffenderweise.

Eigentlich ist der Film also kein Liebesfilm. Es ist ein Film über Abhängigkeit, über Hörigkeit, Selbstaufgabe. "Ich habe so lange auf dich gewartet", haucht der Vampir und dadurch werden alle früheren Verletzungen ad acta gelegt. Es ist ja die Liebe, die Verletzlichkeit, die da aus ihm spricht, also ist es auch in Ordnung, was immer er tut. Das ist die Entschuldigung, die gerade innerhalb derjenigen Religionen, die ein reaktionäres Weltbild predigen, Standard ist. "Ich liebe Dich doch, ich konnte nicht anders, hilf mir, dann wird das nie wieder passieren, bleib bei mir, tue nichts, was mich verletzt, sei für mich da und ich werde dich auch nie verletzen." - das ist die Quintessenz.

Und wer sich in diversen Foren in den USA (nicht nur) umhört, sich einmal die neueren Liebesromane fernab der Formel "zwei Leute werden glücklich" ansieht oder die Puritykampagne verfolgt, der stellt fest: Genau das steckt dahinter. Die Frau als das leidende Opfer, das sich auch noch als die Heldin der Liebe sieht, die für die Liebe und die Familie alles, aber auch alles in Kauf nimmt. Und Männer, die quälen, verletzen, die launisch die "Frau des Herzens" von sich stoßen, sie beleidigen und verachten, nur um sie wieder an sich zu ziehen; die in regelmäßigen Abständen zwischen Wut und Verachtung und Verzweiflung schwanken und so letztendlich ihrer Aggression freien Lauf lassen, nur um dann wieder auf die eigene Verletzlichkeit zu pochen und darauf, dass sie ja nur durch die Kraft der Liebe (der Frau) sich verändern können. Die Frau darf also all dies hinnehmen, darf dann noch um die Liebe kämpfen, sich verletzten und quälen lassen, nur um am Schluss heroisch sagen zu dürfen, dass sie den Kampf gewonnen hat, während sie doch eigentlich nur die Verliererin in diesem Spiel ist. Aber sofern nur der "Richtige" an ihrer Seite ist, so ist alles gut.

Jahrzehntelange Emanzipationsversuche werden nicht zuletzt durch diese Art "Jugendromane" auf dem Schuttplatz der Großen Liebe entsorgt.

Ich werde mir "Twilight" auch noch zigmal ansehen und schmachten, aber die Botschaft dahinter ist genauso ärgerlich wie die Botschaft, die die diversen Kitschromane in letzter Zeit vermitteln: Seid keusch, liebe Mädchen, lasst euch alles gefallen, stellt die Familie über alles und ihr werdet belohnt werden.