Der kostbare Draht...

...zu unseren Kindern geht verloren, wenn im Hintergrund der Fernseher läuft

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Man kennt das, manche wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen, was man ohnehin zu wissen glaubt. Weil man es aber vielleicht nicht gerne wissen will, verdrängt man es lieber. Und sucht eifrig Argumente, um der unangenehmen Einsicht, die behagliche Lebensgewohnheiten mit unguten Konsequenzen konfrontiert, den Stachel zu nehmen. In diesem Fall kann die wissenschaftlich untermauerte Erkenntnis nützlich sein, weil sie das Problem noch einmal objektiv vor Augen führt und damit manche Auswege versperrt und Ausreden ins Leere laufen lässt. Es geht im vorliegenden Beispiel um den TV-Konsum von Eltern in Anwesenheit ihrer jüngsten Nachkommenschaft.

Im amerikanischen Fachmagazin Child Development ist aktuell eine Studie veröffentlicht, die den Einfluss eines im Hintergrund aufgestellten und angeschalteten Fernsehapparates auf die "Interaktion zwischen Kleinkindern und Erwachsenen" untersucht. Die US-Wissenschaftler, größtenteils Psychologen von der University of Massachusetts - Heather L. Kirkorian, Tiffany A. Pempek, Lauren A. Murphy et al. - , haben Vätern und Müttern, die mit etwa 50 Kindern im Alter zwischen einem und drei Jahren, in einem Raum der Universität spielten, dabei beobachtet, wie sich der Umgang zwischen Eltern und Kindern veränderte, wenn im Hintergrund ein TV-Programm lief. Eine halbe Stunde interagierten die Studienobjekte ohne TV-Ablenkung, eine halbe Stunde mit "Bestrahlung".

Das Ergebnis: Die Eltern sprachen und spielten weniger mit ihren Kindern. Ihre Aufmerksamkeit für die Kinder war deutlich reduziert. Sie hatten um gemessene 20 Prozent weniger Zeit für Aktivitäten mit ihren Kindern, für Antworten und Reaktionen auf Signale ihrer Liebsten.

Für die Wissenschaftler ist dies ein bemerkenswertes Forschungsergebnis. Weil eine "qualitativ hochstehende Interaktion zwischen Eltern und Kindern" eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Kinder spielt. Und zum zweiten, weil die Studie einer weit verbreitenden Annahme widerspricht: Dass Hintergrund-Fernsehen keinen Einfluss auf sehr kleine Kinder hat, wenn sie nicht auf den Bildschirm schauen.

Darüber hinaus geben die Forscher zu bedenken, dass in den USA ein Drittel der Säuglinge und Kleinkinder in Haushalten aufwächst, in denen das Fernsehgerät ständig oder die meiste Zeit über angeschaltet ist.

Möglicherweise sind viele Leser von Telepolis, die kleinere Kinder haben, nicht gefährdet, weil sie anspruchsvolle, kluge und bewusste Medienkonsumenten sind, die ihr Fernsehgerät nur mehr zum DVD-Konsum verwenden, wenn die Kinder schlafen. Dafür ist der Computer zuhause ständig an. Wie sich das auf die Aufmerksamkeit gegenüber den anwesenden Kindern verhält, ist meines Wissens noch nicht untersucht. Die private Erfahrung zeigt leichte Parallelen zur Wirkung der TV-Hintergrundnutzung auf die Zuwendung gegenüber den Kindern: "Papa musst du schon wieder zum Computer?"

Wer Kinder hat, weiß, wie kostbar der Draht zu ihnen ist, und der funktioniert vor allem über Zuwendung. Der einfache Rat, den mir ein Vater einmal gegeben hat - "Wenn du mit Kindern zusammen bist, mache nichts anderes" - hat sich als guter erwiesen. Seine Dimension hab ich erst später verstanden. Kinder zeigen sich im Spiel, dort legen sie offen, was man, anders als beim Erwachsenen, nicht über Fragen erfährt. Vertrautheit läuft viel übers Spielen. Und sie sind, wenn man sich ihnen zuwendet, auch offener für Bitten und Regeln ("Jetzt ist Bettzeit"). Diese Offenheit entsteht nicht, wenn man mit anderem beschäftigt ist. Der Rückgriff auf Disziplin ist dann meist ein hilfloser Akt. Zuhören mag man nur dem, der sich mit einem befasst. Insofern ist die oben erwähnte Untersuchung weniger banal, als man zunächst annehmen möchte. Die Entwicklung der Kleinen hängt stark von dem ab, wie wir mit ihnen umgehen. Und sie sind schneller weg, als wir glauben.