"Wir sind alle griechische Juden!"

Über den Traum Europa und den Alptraum Austerität - eine Petition europäischer Denker

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was hat die Staatsschuldenkrise mit Fremdenhass, was hat Angela Merkel mit der Ideologie der Rechtsextremisten zu tun? Mehr als man wahrhaben möchte: So zumindest argumentiert ein jetzt europaweit veröffentlichter Aufruf prominenter Intellektueller.

Alle reden über die Griechen. Aber über die falschen Dinge: Über Schulden. Über Sparpolitik. Über deutsche Steuerzahler. Man rede aber nicht über Hitlergruß, Referenzen an "Mein Kampf", Gewalt gegen Immigranten, Bedrohungen von Journalisten, Rassismus und Antisemitismus - kurz über die "Goldene Morgenröte", jene Partei, die ohne Umschweife direkt an die deutsche NSDAP anknüpft.

Die Unterzeichner verweisen auf den Boom des Rechtspopulismus in anderen europäischen Staaten, auf die schlechten Beispiele Ungarn, Österreich, Niederlande und stellen einen direkten Zusammenhang zur "Austeritätspolitik" (radikalen Sparpolitik) her, die die Regierung Merkel versucht, dem Rest Europas aufzuzwingen, freilich ohne die Kanzlerin namentlich zu nennen:

"Das Dogma der 'Austerity' ... ist für grausame Schäden verantwortlich, ermöglichte Bedingungen, die den Erfolg populistischer Parteien begünstigten, und es begrenzt die Zukunft der europäischen Jugend auf Schuldenabtragen - als ob ganze Generationen auf dem Altar immerwährender Sparpolitik geopfert werden müssten."

Zweitens müsse man das Dogma von der "Festung Europa" bekämpfen, das die Verbreitung von "anti-migrantischen Reden" ebenso fördere, wie die Schließung der europäischen Grenzen - und damit "das Kernelement der europäischen Nachkriegs-Identität angreife: Sein wohlfahrtsstaatliches System - das Einwanderung benötigt, um nachhaltig zu sein."

Die Unterzeichner verweisen auf den "systematischen Angriff" der extremen Rechten auf die Idee des Zusammenhalts und das "republikanische Ideal", nach dem ein jeder Teil der Nation ist. Der "Kampf gegen die sogenannte 'Islamisierung'" sei eine "kulturelle Maske", hinter der sich die Vorstellung von der Ungleichheit der Rassen verstecke. Statt der Suche nach Sündenböcken und Schuldigen, die wirtschaftliche und sozialen Krise, die Europa erfasst hat, und dem Schüren von Angst vor dem Niedergang Europas, bekennen sich die Unterzeichner zum europäischen Traum.

"Um diesen europäischen Traum zu realisieren, müssen wir uns ständig vergegenwärtigen, dass dieser Traum auf den Ruinen des Nationalsozialismus gebaut wurde. Wir dürfen niemals die Shoah vergessen. Unser Traum sieht einen Kontinent frei von Rassismus und Antisemitismus."

Unter den Unterzeichnern des in zahlreichen Sprachen und Zeitschriften sowie im Internet veröffentlichten Aufrufs sind Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, der Präsident von "SOS Racisme", Dominique Sopo, der Soziologe und Vordenker des "Dritten Weges" Anthony Giddens, Frankreichs Ex-Außenminister und Mitgründer der "Ärzte ohne Grenzen" Bernard Kouchner, Spaniens Ex-Außenminister Miguel Angel Moratinos, der polnische Historiker Adam Michnik, die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb, der Literaturnobelpreisträger Dario Fo, der Philosoph und Schriftsteller Bernard-Henri Lévy, der Film-Regisseur Amos Gitaï, die Nazijäger Béate und Serge Klarsfeld, Präsidenten von "Fils et filles de déportés juifs de France", EGAM-Präsident Benjamin Abtan, Jovan Dijvak, Verteidiger Sarajevos im Bosnien-Krieg, der rumänische Politikwissenschaftler Daniel Barbu, die russische Menschenrechtsaktivistin Svetlana Gannushkina, der norwegische Sozialanthropologe Thomas Hylland Eriksen, der Fotograph Oliviero Toscani.

Ist es nur ein Zufall, dass - außer Beate Klarsfeld - keine Deutschen dabei sind?