Blinder bewegt sich fehlerlos durch Hindernisparcours

Erstmals konnten Wissenschaftler zeigen, dass blinde Menschen nach Hirnschädigungen sich erfolgreich im Raum um Hindernisse bewegen können.

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Das Phänomen des Blindsehens ist lange bekannt. Dabei können Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, bei dem visuelle Areale im Neokortex zerstört wurden und ein bewusstes Sehen nicht mehr möglich ist, weiterhin Hindernissen ausweichen. Man spricht hier von kortikaler Blindheit, weil auf Reize von den intakten Augen auch ohne Verarbeitung durch die Sehfelder unbewusst reagiert wird, die Menschen sich aber als blind wahrnehmen.

Wie das internationale Wissenschaftlerteam in der Zeitschrift Current Biology berichten, habe man dies bislang nur bei Affen mit ähnlichen Hirnschädigungen sehen können. Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler einen Patienten gefunden, bei dem nach mehreren Gehirnschlägen der visuelle Kortex in beiden Gehirnhälften völlig zerstört war. Der Mann ist seiner bewussten Wahrnehmung nach blind, vom visuellen Kortex gehen bei ihm keine Signale mehr aus. Die von den Augen kommenden visuellen Informationen müssen also auf anderen neuronalen Wegen verarbeitet werden, denn der Mann konnte sich fehlerlos durch seine räumliche Umwelt bewegen.

Eine der Wissenschaftlerinnen, Beatrice de Gelder von der holländischen Tilburg-Universität, sagt, dass es sich um die erste Studie über diese erstaunliche Fähigkeit bei Menschen handelt, die darauf hinweise, wie wichtig die evolutionär frühen visuelle Pfade vermutlich auch für die bewusst Sehenden sind, um sich in der wirklichen Welt zu bewegen. Unabhängig von der Verarbeitung der visuellen Reize in der Sehrinde werden diese in anderen Arealen unterhalb der bewussten Wahrnehmung prozessiert, die vermutlich der räumlichen Orientierung und der schnellen Erkennung von räumlichen Hindernissen dienen.

Der Patient konnte mit seinem Blindsehen Gegenstände in seiner Umgebung entdecken, ohne sie bewusst zu sehen. Er reagierte sogar auf Gesichtsausdrücke von anderen Menschen, die bestimmte Emotionen zeigen. Das ließ sich bei ihm an Gehirnscans sehen, die die Aktivität der Amygdala zeigten. .Da er trotzdem völlig blind ist, benutzt er normalerweise trotzdem einen Stock, und er benötigte Hilfe, als er um die Gebäude der Universität herum ging. Um seine verbliebenen visuellen Fähigkeiten zu testen, bauten die Wissenschaftler in einem Gang eine Reihe von Hindernissen auf und ließen den Patienten ohne Stock dort gehen. Den Parcours schaffte er erfolgreich, ohne an ein Hindernis zu stoßen. Ein Video findet man hier.