Von Zwangsräumung bedrohte Spanier schöpfen Hoffnung

Die Regierung lenkt gegenüber dem Druck der Betroffenen ein und lässt die Behandlung ihrer Gesetzesinitiative zu

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"Ja, wir schaffen es", tönte es von den Zuschauerbänken im spanischen Parlament am späten Mittwoch. Dass die Rufer sofort geräumt wurden, tat ihrer Freude keinen Abbruch. Sie hatten gerade einen Sieg errungen. Der macht vielen Familien im Land Hoffnung, die von Zwangsräumung bedroht sind.

Gegen alle Ankündigungen hat es die regierende konservative Volkspartei (PP) doch zugelassen, eine "Volksinitiative" (ILP) im Parlament zu behandeln. Es gab nur eine Enthaltung und keine Gegenstimme. 1,5 Millionen Menschen hatten sie mit ihrer Unterschrift unterstützt. "Das ist ein klarer Sieg der Mobilisierung der Bevölkerung und der Demokratie", sagte Ada Colau nach dem auch sie aus dem Kongress geworfen worden war. Kürzlich hatte sie für ihre "Plattform der Hypothekenbetroffenen" ( PAH) sie noch vor den Abgeordneten begründet.

"Wir haben gezeigt, dass wir es schaffen können", sagte Colau Journalisten, Betroffenen und Unterstützern, die sich an diesem kalten Tag vor dem Parlament in Madrid versammelt hatten. Die PAH und die Empörten-Bewegung, die federführend hinter der Initiative stehen, haben allen Widerständen getrotzt und nicht aufgegeben. Dabei sah es zuvor noch so aus, als würde die konservative PP mit ihrer absoluten Mehrheit die Arbeit langer Jahre vom Tisch wischen. Der PP-Sprecher Alfonso Alonso hatte ein Veto gegen die ILP angekündigt.

Doch der massive Druck hat die von massiven Korruptionsvorwürfen gebeutelte Partei zum Umdenken bewegt, womit ein Teilsieg erreicht ist. Alles andere wäre nach Ansicht von Colau eine "Beleidigung der Bevölkerung" gewesen. Besonders schwer fiel der PP die Argumentation, weil sie sogar eine Initiative vorgezogen hatte, die die blutige Stierhatz zum "kulturellen Erbe" erklären lassen will. Dabei lehnt die Mehrheit im Land die brutalen Stierkämpfe als Tierquälerei ab, weshalb sie zum Beispiel in Katalonien mittlerweile verboten sind.

Seit die Konservativen wieder an der Macht sind, wird Stierkampf aber sogar hoch subventioniert wieder im Fernsehen übertragen. Für diese Initiative wurde trotz der Unterstützung der Regierung die Hürde von 500.000 Unterschriften nur knapp genommen. Zum plötzlichen Schwenk der Konservativen in der Räumungsfrage trug aber bei, dass sich am Dienstag zwei Rentner in Mallorca das Leben nahmen. Das Ehepaar in Calvià hatte die Räumungsankündigung erhalten. Statt Wohnungslosigkeit und bitterster Armut entgegenzusehen, entschlossen sich der 68-Jährige und seine 67-jährige Frau zum Suizid.

Auch wenn die Zwangsräumungen noch weiter gehen werden, keimt nun bei vielen Menschen wieder Hoffnung, dass das Drama bald gestoppt werden kann, nachdem schon mehr als 400.000 Familien geräumt wurden. Ein Moratorium, das die Regierung nach Selbstmorden im November verkündete, war so eng formuliert, dass es unwirksam blieb. Täglich werden weiterhin fast 500 Wohnungen geräumt, am Mittwoch hat sich deswegen erneut eine Person erhängt.

Die ILP greift nun die Probleme an der Wurzel. Sie sieht vor, dass die Hypothekenschuld mit der Rückgabe der Immobilie an die Bank - wie in den USA üblich – beglichen ist. Bisher verlieren die Familien wegen der extremen Arbeitslosigkeit (26,1%) nicht nur die Wohnung, weil sie Kredite nicht mehr bezahlen können, sondern bleiben zudem auf hohen Restschulden sitzen. Die Banken übernehmen die Wohnungen nur zur Hälfte des einstigen Schätzwerts, wenn sie niemand ersteigert. Die Betroffenen müssen die Restschuld tragen, die über Säumniszinsen von bis zu 30 Prozent in der Zeit enorm weiter anschwillt, in der der Kredit nicht mehr bezahlt wird. Vorgesehen ist auch eine "Sozialmiete", damit die Betroffenen in ihren Wohnungen bleiben können, die meist weder vermietet noch verkauft werden können und oft verfallen. Diese Miete soll 30 Prozent des Familieneinkommens nicht übersteigen.

Für viele in Spanien ist die Situation untragbar, dass Banken mit Steuermilliarden gerettet werden, die aber zahlungsunfähige Familien aus ihren Wohnungen räumen lassen. Verstoßen wird damit auch gegen die Verfassung, wo das "Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung" verankert ist. Schon in zwei Fällen hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Räumungen wegen fehlender Ersatzwohnungen. Bisher ist aber nur eine "Schlacht" gewonnen, meint Colau. Nun gehe darum, den Druck noch zu verstärken, damit die Gesetzesinitiative nicht "verwässert" wird und letztlich eine Mehrheit im Parlament findet. Deshalb rief sie die Bevölkerung auf, den Teilsieg am Samstag auf einer geplanten Großdemonstration in Madrid zu feiern.