Eisschwund bestätigt

Zwischen 2002 und 2008 war der durchschnittliche jährliche Eisverlust auf Grönland um mehr als 50 Prozent größer als zwischen 1993 und 2003

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Ein Leser machte mich auf zwei jüngste Veröffentlichungen von Geowissenschaftlern aufmerksam (hier in einer Pressemitteilung beschrieben), die den Aussagen in der Wochenschau über die Entwicklung auf Grönland (Verdoppelung der Flussraten der

grönländischen

Gletscher in den letzten fünf Jahren) zu widersprechen scheinen.

Wissenschaftler des Jet Propulsion Laboratory in den USA, der Universität Delft in den Niederlanden und des Niederländischen Instituts für Weltraumstudien SRON, haben sich mit isostatischen Bewegungen - also Hebungen und Senkungen aufgrund veränderter Auflasten aus Eis und Wasser - der Erdkruste beschäftigt, um Satellitendaten besser interpretieren zu können. Ihr Ergebnis: Der Massenverlust der Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis wurde in früheren Arbeiten erheblich überschätzt. Sie beziehen sich - und das ist wichtig - auf den Zeitraum 2002 bis 2008.

In der Wochenschau wird der letzte IPCC-Bericht dahin gehend referiert, dass für den Zeitraum

1993 bis 2003

der Eisverlust sowohl auf Grönland als auch in der Westantarktis mit 0,21 Millimetern pro Jahr (mm/a) zum Meeresspiegelanstieg beiträgt, wobei für die Westantarktis mit 0,35 mm/a deutlich größere Unsicherheiten angegeben werden. Das heißt, es kann für den genannten Zeitraum nicht ganz ausgeschlossen werden, dass deren Beitrag negativ war, also dort seinerzeit Masse akkumuliert wurde (indem mehr Niederschlag fiel, als Eis verloren ging). Genauso gut kann aber der Beitrag zum Meeresspiegelanstieg auch deutlich höher als 0,21 mm/a gewesen sein.

Mit den oben erwähnten Arbeiten hat das zunächst nichts zu tun. Die beziehen sich nämlich auf einen späteren Zeitraum und revidieren Annahmen über den in dieser Zeit erfolgten Eisverlust. Ihr Ergebnis: Grönland hat zwischen 2002 und 2008 nicht, wie bisher angenommen, durchschnittlich 230 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) pro Jahr verloren, sondern 104 Gt/a (Unsicherheit 23 Gt/a). Das ergibt immer noch einen Beitrag zum Meeresspiegelanstieg von 0,34 mm/a (+/- 0,075). Das ist mehr als 50 Prozent mehr als in der Periode 1993 bis 2003. Der Eisverlust auf Grönland scheint sich also, wie in der Wochenschau berichtet, zu beschleunigen, wobei natürlich der beobachtete Zeitraum noch immer sehr kurz ist.

Der Beitrag der Westantarktis scheint hingegen konstant geblieben zu sein. Hier wurde ein Massenbilanzverlust von 62 (+/-32) Gt/a berechnet, was 0,2 (+/- 0,09) mm/a entspricht. Immerhin wird aber die Unsicherheit geringer.

Am Rande sei noch erwähnt, dass die Geowissenschaftler sich auch die Gletscher in Alaska und Nordwestkanada angesehen haben. Die sind zwar wesentlich kleiner als die grönländischen, verloren zwischen 2002 und 2008 aber fast genauso viel Masse (101 +/-23 Gt/a). Das passt ganz gut zu dem Befund, dass sich die dortige Region in den vergangenen Jahren wesentlich schneller erwärmt hat, als der Rest des Planeten.

Fazit: 1. Alles spricht dafür, dass sich der Masseverlust der Eisschilde und Gletscher in der Arktis im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends beschleunigt hat. 2. Die Wissenschaft funktioniert prächtig. Es werden Messungen gemacht und interpretiert, andere Wissenschaftler messen und rechnen nach und vervollständigen das gewonnene Bild. Anders als manche Darstellung von Journalisten suggeriert, ist das Ganze ein kontinuierlicher, aufbauender Prozess, in dem es eben nicht darum geht, beständig ältere Erkenntnisse zu verwerfen und durch neue zu ersetzen.