Rot(h)grün abgewählt

Mit dem neuen grünen Spitzenduo beginnen sofort wieder schwarz-grüne Koalitionsfantasien, die Wiedervereinigung der bürgerlichen Familie könnte beginnen

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"Damit ist Rot-Grün der Ablösung von Schwarz-Gelb einen großen Schritt näher gekommen", kommentierte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Oppermann das Ergebnis der Urabstimmung für die Spitzenkandidatur der Grünen. Dabei ist es keineswegs ein Wunschergebnis der SPD.

Denn Claudia Roth, die vom Habitus und ihrer politischen Geschichte am vehementesten für die rotgrüne Option eingetreten ist, landete mit knapp 26 % nur auf dem dritten Platz. Selbst Renate Künast, die lange Zeit ebenfalls eher dieser Option zuneigte, bei ihrem vergeblichen Versuch, in Berlin Regierende Bürgermeisterin zu werden, aber eine Öffnung zur CDU propagierte und nach Protesten der Basis wieder zurückruderte, konnte mehr Stimmen auf sich vereinigen.

Die Gewinnerin ist aber Kathrin Göring-Eckardt, die seit Jahren bürgerliche Bündnisse propagiert. Dabei versteht sie darunter zunächst eine Kooperation mit den konservativen Teilen der Gesellschaft, die unter Umweltschutz Erhaltung der Schöpfung und nicht ein ökosozialen Umbau verstehen.

"Wenn sie eine bessere Integration fordert, muss niemand Angst haben, dass sie damit das christliche Abendland verraten will. Wenn sie mehr Klimaschutz verlangt, ist sie ganz nah an der Bewahrung der Schöpfung und damit anschlussfähig an ein konservatives Milieu", kommentierte die grünennahe Taz Göring-Eckhardts Wahl. Die wird dort auch schon gleich mit Gauck und Merkel verglichen, was auch in der Taz durchaus positiv gemeint ist. Dass die neue Spitzenfrau eine Vergangenheit in der evangelischen Kirche hatte, stellt für die Grünen keine Zäsur da. Mit der heute nicht grundlos weitgehend vergessenen Antje Vollmar spielte eine Protestantin mehr als ein Jahrzehnt lang eine Protestantin eine wichtige Rolle bei den Grünen.

Weniger bekannt war Christa Nickels, die ebenfalls ihr politisches Agieren religiös begründete. In dieser Hinsicht stellt Göring-Eckardts Wahl eher eine grüne Normalität her. Interessanter ist, dass sie mehr als die anderen auch mit der politischen Formation gut kann, die zumindest im Namen noch das christliche Kürzel trägt.

Bei den Grünen gibt es keinen relevanten linken Flügel mehr

Daher wurde auch prompt nach ihrer Wahl das Pro und Contra eines schwarz-grünen Bündnisses in der grünennahen Taz diskutiert. Dabei wird vor den Wahlen offiziell natürlich nicht daran gerüttelt, dass Schwarz-Gelb abgelöst werden muss. Dafür steht vor allem der männliche Spitzenkandidat Jürgen Trittin, der in der grüneninternen Terminologie als Vertreter des linken Flügels gilt, was mit seiner politischen Vergangenheit zu tun hat, denn die K-Gruppe, die ihn politisch geprägt hatte, war nicht die Kirche, sondern der Kommunistische Bund, den zahlreiche Politiker durchlaufen haben, die bei Grünen und Linken Karriere machten.

Heute nimmt Trittin die Position des klassischen Realos ein, gegen den Parteilinke immer agiert hatten. Trittin, der sich inhaltlich kaum vom Joseph Fischer der frühen 1990er Jahre unterscheidet, kann heute nur als Parteilinker durchgehen, weil es bei den Grünen keinen relevanten linken Flügel mehr gibt. Die meisten Linken sind seit Ende der 1990er Jahre ausgetreten und die Realos haben deren Platz eingenommen, während die Wertkonservativen jetzt den Realopart spielen.

Diese Entwicklung bildet sich jetzt auch im Spitzenduo für den Wahlkampf ab. Insofern kann die Wahl von Göring-Eckardt nur für die eine Überraschung sein, die noch immer die Links-Rechts-Schablonen der 1990er Jahre auf die Grünen anlegen. Trotzdem wird sich auch die neue Spitzenfrau hüten, in der nächsten Zeit offen für ein Bündnis mit der Union einzutreten. Das könnte neuen Streit in der Partei auslösen und manche überzeugte Anhänger von rotgrün zur SPD treiben.

"Bis zum Wahltag werden auch alle Grünen verbissen jeden Gedanken an eine Koalition mit Merkel ausschließen. Schließlich inszeniert man ja einen Lagerwahlkampf Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb. Nach der Wahl müsste die grüne Parteiführung dann für eine schwarz-grüne Koalition in einem Reißschwenk das vorher Undenkbare zum Normalen erklären", beschreibt Taz-Kommentator Stefan Reinecke ein realistisches Szenario. Für eine solche Aufgabe ist Göring Eckhardt gut geeignet.

Modell Baden-Württemberg?

Die Debatte um ein schwarz-grünes Bündnis ist alt, nur haben deren Befürworter mit der Wahl von Kretschmann als erstem grünen Ministerpräsidenten und zuletzt mit Fritz Kuhn zum Stuttgarter Oberbürgermeister Oberwasser bekommen. Sie sind vor der Wahl alle so aufgetreten, dass sie auch hätten für die CDU kandieren können und genau deswegen wurden sie gewählt.

Schon warnten einige Kommentatoren, dass die Grünen einem Trugschluss erliegen, wenn sie das Erfolgsmodell aus dem Südwesten der Republik auf ganz Deutschland übertragen wollen. Deswegen war den führenden Grünen aller Flügel auch sehr daran gelegen, dass Claudia Roth wieder als Parteivorsitzende antritt. Nach einigen Tagen Bedenkzeit verkündete sie am Montagmorgen ihre Bereitschaft. Dabei vergaß sie auch nicht, die Floskel zu strapazieren, dass sie zu der Erkenntnis gelangt sei, es gehe nicht um ihre Person, sondern um die Partei.

Dass ihr allerdings am Wochenende von der Parteibasis signalisiert wurde, sie solle wieder antreten, darf man ihr glauben. Eine neue Personaldebatte vor den Wahlen kann die Partei nicht gebrauchen. Zudem ist es auch nicht so einfach, eine Frau zu finden, die der Öffentlichkeit suggerieren kann, sie stehe für den linken Flügel, den es gar nicht mehr gibt.

Roth wird wohl mit einen guten Ergebnis beim Parteitag dafür belohnt, dass sie sich trotz ihrer Niederlage bei der Abstimmung noch mal zur Verfügung stellt. Doch schon in den 1980er Jahren, als es im Parteiapparat tatsächlich noch eine linke Mehrheit gab, zeigte sich, dass die Politik woanders gemacht wird. Während Jutta Ditfurth sich gegen die Realos durchsetzen konnte, lag das Machtzentrum der Partei schon längst bei Fischer und seinen Freunden.

Politische Wiedervereinigung der bürgerlichen Familie?

Jetzt könnte mit Kretschmann, Kuhn, Göring-Eckardt und Co. ein neues Machtzentrum entstehen, das endlich umsetzen will, wovon viele Grüne schon länger träumen. Die Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers, die im Privaten schon längst völlig unspektakulär vollzogen wurde. Die Bürgerkinder, die die Grünen einst als Akt der Rebellion auch gegen die Vorgängergeneration stark machten, haben spätestens dann den Frieden mit ihr gemacht, als sie das Erbe ihrer Eltern antraten.

Dass die politische Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers sich so langwierig gestaltet und wie in Hamburg, wo die schwarz-grüne Koalition schnell platzte, immer wieder Rückschläge mit sich bringt, liegt weniger an den unterschiedlichen Inhalten, sondern an Stilfragen, auf die in bürgerlichen Familien aber sehr großer Wert gelegt wird.

Und da sind noch die Bürgerkinder, die von Jugend an Streber und Klassenbeste waren und nie auf Rebellion gemacht haben. Sie haben sich in der FDP organisiert, mussten sich dafür zeitweise an den Unis von ihren rebellischen Brüdern und Schwestern verspotten lassen und sind bis heute nicht bereit, mit ihnen nun wieder friedlich am Familientisch zu sitzen. Daher ist der Zwist zwischen Grünen und FDP groß und der Graben zwischen den feindlichen Brüdern und Schwestern besonders tief.

Eine Schwächung der FDP würde schwarz-grüne Planspiele begünstigen. Wenn es auch längst nicht so weit ist, und alles vom Wahlausgang abhängt, zeigt das Ergebnis der Urabstimmung und die Abwahl von Grün-Rot(h), dass die Grünen mehrheitlich reif für die große bürgerliche Versöhnung sind.