Wenn Zweckentfremdung belohnt wird

Gelder für den sozialen Wohnungsbau sind da, nur werden sie für anderes genutzt

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Wenn im anstehenden Wahlkampf wirklich noch eine Debatte über die sozialen Rechte im Land geführt würde, wäre die Übersicht brisant, die der konservativen Rheinischen Post aus dem unionsgeführten Bundeswohnungsbauministerium zugespielt worden ist.

Denn dort wird festgestellt, dass viele Bundesländer zweckgebundene Mittel für den sozialen Wohnungsbau zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendeten, also zweckentfremden. Und das in einer Situation, in der erst vor wenigen Wochen eine Studie für kurzzeitige Aufmerksamkeit sorgte, die feststellte, dass steigende Mieten einen wesentlichen Anteil bei der Verarmung von Menschen in Deutschland haben Die Wohnung wird zum "teuren Kulturgut").

In Städten wie Berlin beschäftigt die Frage, wie auch einkommensschwachen Menschen eine Wohnung in selbstgewählter Lage garantiert werden kann, längst eine große Öffentlichkeit. Selbst die Boulevardpresse hat das Thema mittlerweile entdeckt. Die Forderung nach der Wiederaufnahme des Sozialen Wohnungsbaus, der zumindest regulierend in das Marktgeschehen eingreifen soll, wird von immer mehr Mieterverbänden erhoben und von der Politik mit dem Verweis auf die leeren Kassen immer wieder zurückgewiesen.

Nun beweist die Studie, dass durchaus Gelder für den sozialen Wohnungsbau vorhanden sind, aber nicht genutzt werden. Nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 sind die Länder für den Wohnungsbau zuständig, erhalten dafür aber von der Bundespolitik zweckgebundene Gelder. Die RP zitiert aus dem Ministeriumsbericht, dass Berlin, Bremen, das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen in den Jahren 2009, 2010 und 2011 so gut wie keine Sozialwohnungen geschaffen hätten. Dabei hätten sie jährlich 518 Millionen Euro vom Bund für den Neubau und die Sanierung von Sozialwohnungen erhalten.

Das Land Berlin zahlte mit dem Geld Wohnungsbau-Altverpflichtungen aus früheren Jahren ab. Kein Wunder, das nach der gleichen Übersicht, die Zahl der sozial geförderten Wohnungen von 2009 bis 2011 zurückgegangen ist. Wenn nun Politiker einiger mit dem Vorwurf der Zweckentfremdung konfrontierten Bundesländer wie Brandenburg darauf verweisen, die Gelder würden für die Modernisierung von Wohnungen wie den Einbau von Fahrstühlen genutzt und würden daher sehr wohl ihren Zweck erfüllen, so ist das zunächst Werfen von Nebelkerzen.

Tatsächlich kann in mehrstöckigen Häusern ein Fahrstuhleinbau auch im Interesse von einkommensschwachen Mietern sein. Allerdings werden solche Modernisierungen von vielen Mietern häufig abgelehnt, weil sie zu einer Erhöhung der Mieten führen. So stellt sich dann eher die Frage, ob die eigentlich für den sozialen Wohnungsbau gedachten Gelder am Ende sogar zur Aufwertung und der damit verbundenen Mieterhöhung führt.

Bund und Länder schieben sich schwarzen Peter zu

Warum dieser Bericht gerade zu diesem Zeitpunkt bekannt wird? Die Antwort liegt auf der Hand: Es ist Wahlkampf und die Mieten sind Thema. So schieben sich Bund und Länder wieder einmal die Bälle zu und können sich so gegeneinander profilieren. Schon seit Jahren haben viele Mieter daher das Vertrauen in sämtliche Parteien verloren, was in Berlin durch eine Plakatserie ausgedrückt wird, die die Verantwortung von führenden Politkern für die Wohnungsmisere aufzeigt. Daher wird die in der RP veröffentlichte Übersicht auch keine größeren Konsequenzen haben.

Wie übrigens auch die Zweckentfremdung der Gelder für die betroffenen Bundesländer nicht bestraft, sondern sogar belohnt wird. Die RP zitiert aus dem Bericht, dass es ab 2014 eine "investive Zweckbindung der Kompensationsmittel" geben soll. Hier wird in Beamtensprache gefasst, dass dann die jetzige Praxis nicht mehr Zweckentfremdung genannt werden kann, weil sie ganz legal ist. Dabei bezweifelt niemand mehr, dass der Bedarf nach bezahlbaren Wohnungen steigt.

Die Forderung nach sozialen Wohnungsbau könnte durchaus eine Teilforderung der sich auch bundesweit ausbreitenden Mieterbewegung werden, die längst nicht nur in Berlin, sondern auch im Ruhrgebiet und Hamburg Zwangsräumungen behindert und eine Woche nach den Bundestagswahlen einen bundesweiten Mietenaktionstag organisieren will. Dann sind die Wahlen vorbei und die Meldung aus der RP könnte doch noch eine gewisse Brisanz bekommen.