Rettet die Sortenvielfalt – und fragt nicht nach

Außer Kontrolle

Eine Petition, die sich gegen die Einschränkung der Sortenvielfalt innerhalb der EU richtet, wirft Fragen auf

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Von Knollenziest und Co.

Sortenvielfalt ist nicht erst seit der Debatte um die Kartoffelsorte "Linda" ein Thema. Die beliebte Speisekartoffelsorte wurde vom Züchtungskonzern Europlant kurzerhand vom Markt genommen, was letztendlich nicht nur bedeutete, dass sie nicht mehr käuflich zu erwerben, sondern auch, dass der Eigenanbau bzw. die eigene Vermehrung nicht mehr möglich war.

Erst passionierten Linda-Fans sowie dem gemeinsamen Einsatz von Landwirten und Sortenvielfaltsbewahrern gelang es, Linda zu neuem Leben zu verhelfen, indem das Bundessortenamt die Zulassung erneut genehmigte. Doch neben der Kartoffel, die die Frage der Einschränkung von Sorten durch Zuchtkonzerne in die Öffentlichkeit brachte, gibt es etliche Sorten von unter anderem Gemüsepflanzen, die gerade auch durch das Engagement von Initiativen wie Arche Noah nicht nur wiederentdeckt, sondern auch erhalten werden. So finden sich im Jungpflanzensortiment der Arche Noah beispielsweise das Löffelkraut, der Knollenziest oder die Scheibengurke.

Dadurch, dass die Initiative Arche Noah durch ihre vielfältigen Aktivitäten wertgeschätzt wird, ergibt sich gerade für Umwelt- und Naturschützer wie auch passionierte Sortenerhalter eine Art Vertrauensverhältnis gegenüber dem Verein, so dass von Arche Noah initiierte Aktionen stets auch in Foren empfohlen bzw. bei Petitionen zum Unterzeichnen aufgerufen wird. Eine solche Petition wird derzeit nicht nur in den entsprechenden Foren empfohlen, sondern auch von etlichen Medien thematisiert, gerade auch im österreichischen Raum. Initiiert von Arche Noah sowie Global2000 wird dazu aufgerufen, gegen den Entwurf der neuen Saatgutverordnung die Stimme durch Unterzeoichnung der Petition zu erheben. "Der freie Tausch von Saat- und Pflanzgut zwischen Bauern und Gärtnern könnte strafbar werden. Auch gefährdete Sorten dürften ohne aufwändige amtliche Zulassung nicht weitergegeben werden", heißt es im dazugehörigen Text. Immerhin über 80.000 Perseonen haben die Petition bereits unterzeichnet.

Wer mehr zum Thema erfahren will, wird über den dazugehörigen Link auf eine kurze Informationsseite verwiesen, die wiederum auf den gesamten Forderungstext verlinkt. Doch während im Text des öfteren davon die Rede ist, dass der Entwurf zur neuen Saatgutverordnung hochproblematisch sei ("Vorgesehen sind kostspielige Testverfahren, die nur industrielle Sorten der Agrarkonzerne bestehen können – alte und seltene Sorten werden damit von Weitergabe und Anbau ausgeschlossen. Damit bestimmen die Konzerne, was angebaut werden darf und auf unsere Teller kom "], fehlt vor allen Dingen eines: der Entwurf selbst.

Vertraue mir...

In manchem Forum stellt sich eine Nachfrage problematisch dar, da Kritik bzw. auch nur die Frage nach Details eher als Kritik an der Sortenvielfalt an sich gesehen werden, weshalb es sinnvoll ist, direkt bei der Quelle nach dem Entwurf zu fragen. Dieser stellt sich allerdings nicht als der tatsächliche Entwurf heraus, sondern vielmehr geht es um eine Art Vorentwurf zum Entwurf. Dieser Vorentwurf kann, muss jedoch nicht den späteren Entwurf, der voraussichtlich am 6. Mai veröffentlicht werden soll, darstellen.

Da sich die diversen Presseberichte auf den Entwurf beziehen, erschien es logisch, zunächst auch die Pressevertreter zu fragen, ob ihnen der Vorentwurf vorliegt. So schreibt die "Kleine Zeitung": "Sind alte Obst- und Gemüsesorten bald vom Aussterben bedroht? Umweltschutzorganisationen kritisieren die neue EU-Saatgutverordnung. Darin wird festgeschrieben, dass auch alte Sorten künftig einen langen Bewilligungsweg durchlaufen müssen." Hier wird dem Leser also suggeriert, dass nicht nur die beiden Umweltschutzorganisationen den Entwurf kennen, sondern der Artikelschreiber der Ansicht der Organisationen zustimmt und insofern auch Einblick in den Entwurf hatte. Eine Nachfrage beim Journalisten der Kleinen Zeitung ergab jedoch, dass auch diesem der Vorentwurf nicht vorlag. Es gebe, so heißt es seitens der Kleinen Zeitung, Indizien, die darauf hinweisen, dass der bisherige Entwurf verschlimmbessert wurde, da sich auch bisherige Befürworter der Saatgutverordnung von den neuen Ideen abwenden und sie als problematisch bezeichnen, insbesondere auch hinsichtlich der bürokratischen Hürden. Doch der Vorentwurf selbst wurde der Presse nicht zugespielt.

Eine Nachfrage bei Global2000 ergab, dass dort zwar der Vorentwurf vorliegt und von den dortigen Sachverständigen/Juristen auch analysiert wurde, aus "rechtlichen Gründen" dieser Vorentwurf jedoch nicht herausgegeben werden dürfe. Dieses Verfahren irritiert, denn so ist die Presse letztendlich nur der Teil der Informationskette, der die Informationen, die ihr von Global2000 und Arche Noah gegeben werden, unüberprüft weitergeben kann, weil die Primärquelle nicht zur Verfügung steht. Letztendlich ist es so nicht möglich, die Analyse der Organisationen zu bewerten.

Seitens Global2000 hieß es, dass die Primärquelle letztendlich sehr technisch sei, weshalb sie den Nichtsachverständigen sowieso nur wenig weiterhelfen würde, doch spezifische Termini sind für Journalisten ebenso wenig exotisch wie Geheimhaltung und Diskretion, weshalb die Argumentation der Organisation eher wenig überzeugend erscheint. Auch wäre es möglich gewesen, den Vorentwurf einer "Whistleblowerplattform" zu übergeben, so dass auch hier die diversen Medien die Möglichkeit gehabt hätten, sich direkt damit zu befassen, statt auf die Meinung der Organisationen vertrauen zu müssen.

Vage Informationslage

Durch die Geheimhaltungsargumentation bzw. -praxis der Organisationen ergibt sich die schwierige Situation, dass die Petition gerade auch von engagierten Leuten nur dann beworben werden kann, wenn den Organisationen per se geglaubt wird, dass ihre Ansicht die Richtige ist und die dortigen Sachverständigen alles richtig bewertet haben. Eine selbständige Auseinandersetzung mit dem Thema ist auf diese Weise aber nicht möglich, was dazu führt, dass so manche Unterschrift der Petition nicht erfolgen wird.

Diese Problematik zeigt sich in der letzten Zeit des öfteren bei Petitionen oder Unterschriftensammlungen – die Initiatoren verweigern sich dabei den Nachfragen bzw. beurteilen diese Nachfragen schon als negative Bewertung der Aktion an sich. So ersetzt dann blindes Vertrauen samt dem dazugehörigen Aktionismus die Möglichkeit, das Thema wirklich detailliert zu betrachten. Nicht selten wird dann die Zurückhaltung der Presse auch als Zeichen dafür angesehen, dass die Thematik an sich totgeschwiegen werden soll. Doch gerade auch die Presse benötigt Informationen und nachprüfbare Fakten statt Ansichten und einem reinen "Vertrauen Sie uns einfach" oder kann letztendlich nur das wiederkäuen, was andere sagen, ohne selbst beurteilen zu können, ob dies richtig oder falsch ist. Doch dafür wird keine Presse benötigt, in Zeiten von Blogs, Foren und dergleichen mehr kann diese Wiederkäufunktion auch ohne sie stattfinden.

Einen zusätzlichen Nutzen haben Petitionen wie diese - da sie sich vage gegen "die EU" richten, ohne weiter zu beleuchten, von welchen Ländern was eingebracht wurde - auch als Steigbügelhalter für Ressentiments gegen die EU, den Euro und dergleichen mehr. "Den Schilling haben sie uns schon weggenommen, die Glühbirnen auch, jetzt kommen die Pflanzen...", lauten dann sinngemäß manche Äußerungen hinzu. Initiativen, die die EU per se abschaffen wollen, können die Petition nutzen, um zu suggerieren, dass durch die Auflösung der EU bzw. den Austritt des jeweiligen Landes die diversen Probleme mit Monopolen und Co. automatisch gelöst wären.

Update vom 25.04.2013:

Nachdem eine andere Initiative (Saatgutkampagne) den Vorwurf nun online stellte, fand sich auch Global2000 dazu bereit, mir diesen zukommen zu lassen. Ferner gab es seitens Global2000 eine Zusammenfassung (Factsheet), welche noch einmal die Schwierigkeiten des Vorentwurfes nach Sicht der NGO darstellte. Leider nimmt die Zusammenfassung nicht direkt Bezug auf den Vorentwurf, indem beispielsweise geschrieben steht "Im Vorentwurf findet sich folgender Passus: Zitat..., den wir wie folgt interpretieren/der besagt...", sondern überlässt es somit den Einzelnen, selbst herauszufinden, wo im Vorentwurf das steht, was die NGOs daraus ableiten/darin sehen. Neben prinzipiellen Argumentationen und Informationen wie "Wem gehört das Saatgut" oder "Bedeutung der Kulturpflanzenvielfalt" finden sich die Hauptkritikpunkte wieder:

"ARCHE NOAH und GLOBAL 2000 haben die Verordnungsentwürfe analysiert. Die zwei Hauptprobleme sind: Administrative Hürden. Die gleichen Auflagen sollen sowohl für Industriekonzerne als auch für Klein- und Kleinstbauern und -bäuerinnen gelten. Wenn die Verordnung so kommt, wie sie jetzt vorgeschlagen ist, dann wird es Bauern und Bäuerinnen unter Verwaltungsstrafe verboten, Saatgut von nicht registrierten Sorten weiterzugeben. Das bedeutet also: Wenn ein Bauer Saatgut, das er selbst gewonnen hat, seinem Nachbarn weitergeben will, dann droht ihm eine Verwaltungsstrafe. Er müsste das Saatgut und auch sich selbst vorher „registrieren“. Die Weitergabe umfasst auch das Schenken. Hausgärtner_innen dürften nicht registriertes das Saatgut/Pflanzgut zwar herschenken, aber nicht auf einem Markt gegen Geld weitergeben.

Biologische Barrieren. Die zweite große Gefahr stellt die Registrierung/Sortenzulassung an sich dar. Die Registrierung ist mit großem administrativem Aufwand verbunden und zudem teuer. Die Kriterien der Zulassung – Homogenität, Beständigkeit, Unterscheidbarkeit – zielen in erster Linie auf Hochleistungssorten ab, für die meist zusätzlich ein privatrechtlicher Sortenschutz beantragt wird. Alte Sorten, die auf genetischer Vielfalt beruhen, können diese Kriterien gar nicht erfüllen. Somit wären viele der seltenen, alten, traditionellen, bäuerlichen Sorten von der Möglichkeit, sie weiterzugeben, rechtlich ausgeschlossen. Man könnte sie nur noch illegal weitergeben."

Die EU-Kommission hat in ihrer //ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/11327_de.htm, die am 2404.2013 veröffentlicht wurde, ihre Sicht klargestellt und betont: a) die neuen Regelungen der Saatgutverordnung werden nicht für Privatgärtner gelten
b) die neuen Regelungen gelten ausschließlich für professionelle Akteure, wie beispielsweise Landwirte oder Gartenbaubetriebe, die pflanzliches Saatgut erzeugen
c) für Kleinstunternehmen jedoch wird es Ausnahmen geben, um für sie die administrativen Hürden und Kosten zu minimieren. Die Anforderungen an sie bezüglich Kennzeichnung und Verpackung werden gering sein.
d) auch für alte Sorten sollen schwächere Regeln gelten. Aus Transparenzgründen muss dieses Saatgut zwar auch registriert werden, allerdings in einfacher Form und auf der Grundlage von historischen Daten und praktischer Erfahrung. Tests sind nicht vorgesehen.