Supergrundrecht durch Sauerland-Bomber

Bombenleger-Halali sprengte den Rechtsstaat

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, haben die deutschen Behörden ihre ursprünglich restriktive Auslegung des G10-Gesetzes nach der gefeierten Festnahme der Mitglieder der sogenannten „Sauerland-Zelle“ geändert. Für den Hinweis auf die 2007 ausgehobene Gruppe durch die NSA seien die Deutschen bis heute dankbar. Zu ergänzen ist allerdings, dass diese Spur aus einer Operation in Pakistan stammte, wo sich zwei der Verdächtigen in einem "Terrorcamp" aufgehalten haben sollen. Eine Inlandsüberwachung ist daher mit dem Anstoß zur „Operation Alberich“ nicht zu rechtfertigen. Unklar ist insbesondere, ob die NSA ihre Erkenntnisse tatsächlich durch Überwachungstechnik, oder aber vielmehr durch Folter gewonnen hat. Denn der insoweit wichtigste Zeuge Sherali A. saß in Usbekistan in Haft, wo man politische Häftlinge schon mal foltert. Der vormalige britische Botschafter in Usbekistan, ein Ex-Offizier beim usbekischen Geheimdienstes und eine Journalistin vermuteten sogar, die Islamische Jihad Union sei höchstwahrscheinlich von den usbekischen Geheimdiensten erschaffen worden ( "Ferngelenkte Terroristen?").

Angesichts der einschneidenden Folgen – die Veräppelung etwa des Bundesverfassungsgerichts, das von einer Geltung des Grundgesetzes und eigener Deutungshoheit hierüber ausging – lohnt sich ein genauerer Blick auf den vorgeblich rechtfertigenden Anlass. So bezeichnete die ARD 2009 in einer Doku „Terroristenjagd im Sauerland“ die Beschattung der Bombenbastler als „größte Polizeiaktion in der Geschichte der Bundesrepublik“. Im Gegensatz zu diesem Heldengemälde einer scheinbar professionellen Observation waren sich die drei Verdächtigen der Beobachtung durch den Staatsschutz allerdings sehr wohl bewusst. So berichtete einer vor Gericht, die Autos der Verfolger seien derart nahe gekommen, dass man ausgestiegen sei und ihnen die Reifen zerstochen habe. Warum die gewarnten Täter dennoch weiter an ihren Bomben köchelten, gehört zu den vielen Ungereimtheiten des Falles. Die eigentliche Festnahme geriet gemessen am Ermittlungsaufwand erstaunlich unprofessionell.

Wirklich gefährlich waren die „Sauerland-Bomber“ nicht, schon weil die Ermittler die Chemikalien bereits Monate vor dem Zugriff gegen harmlose ausgetauscht hatten. Außerdem stellte das Bundeskriminalamt fest, dass die allermeisten Zünder gar nicht funktioniert hätten. Wie das Nachrichtenmagazin STERN 2010 berichtete, seien die Sprengzünder über den türkischen Mittelsmann Mevlüt K. beschafft worden - ein Kontaktmann des traditionell mit der CIA kooperierenden türkischen Nachrichtendienstes MIT. Mevlüt K. soll 2004 auch dem BND eine Zusammenarbeit angeboten haben. Der Ideologe der "Sauerland-Zelle", Yehia Yousif, erwies sich sogar als Agent des Inlandsgeheimdienstes Verfassungsschutzes. Deutsche Behörden hatten zwei deutsche V-Leute an die Gruppe herangespielt. Sogar einen der später Verurteilten hatte der Verfassungsschutz nach seiner Rückkehr aus Pakistan anzuwerben versucht.

Während in der unkritischen ARD-Doku ein sauerländischer Männerchor die verletzliche Heimatidylle assoziierte, hatten es die verhinderten Täter, die unter den Augen der Staatsdiener eine Bombenshow veranstalteten, unstreitig gar nicht auf die Zivilbevölkerung abgesehen. Ziel der Islamisten waren Amerikaner, die etwa in Pakistan Tausende Menschen per Drohne zu liquidieren oder in Afghanistan Hochzeiten oder Tanklaster zu bombardieren pflegen. Das zunächst von Schäuble ausgegebene Horrorszenario eines Anschlags auf den Frankfurter Flughafen räumte dieser schließlich als aufgesogene Zeitungsente ein. Dass es das Weiße Haus umgekehrt deutschen Behörden gestatten würde, die USA und ihre Streitkräfte abzuhören, um die pakistanische oder afghanische Zivilbevölkerung vor solchem tatsächlichen Terrorismus zu bewahren, ist eher unwahrscheinlich. Im Gegenteil duldet Deutschland die Lagerung und den Transport von tatsächlich gefährlichen und eingesetzten Bomben durch die US-Streitkräfte auf deutschem Boden, was Deutschland zu einem logischen Terrorziel macht.

Die Scharade der Sauerland-Möchtegern-Bomber hatte für den Abbau des (Grund-)Rechtsstaats einen ähnliche Funktion wie die ominöse Serie an Bombenattentaten Mitte der 1980er Jahre am NATO-Stützpunkt Luxemburg. Profitiert von der Terrorhysterie hatten dort in erster Linie die Sicherheitsbehörden und das Militär, deren Wünsche von der Politik erfüllt wurden. Der Geheimdienstskandal in Luxemburg und das Bemühen um eine Vertuschung hatten zur Folge, dass dort die Regierung Platz für Neuwahlen machte.