Frankfurt erteilt "fliegendem Gerichtsstand" Landeverbot

Immer mehr Gerichte lehnen in Internetstreitigkeiten die Anwendung des sogenannten „fliegenden Gerichtsstands“ ab, wenn dieser nicht sachlich begründet ist.

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Ein bekannter, inzwischen verstorbener Münchner Rechtsanwalt hatte die im Presserecht und im Wettbewerbsrecht anerkannte Praxis auf das Internet vorangetrieben, überall dort zu klagen, wo eine Rechtsverletzung stattfindet. In weiter Auslegung des § 32 ZPO („deliktischer Gerichtsstand“) konnte bislang bei Verletzung von Urheber-, Persönlichkeits- oder Wettbewerbsrecht usw. im Internet eine Klage bundesweit an einem beliebigen Gericht anhängig gemacht werden, weil Internet überall abrufbar und damit auch überall „Tatort“ ist. Findige Rechtsanwälte wählten sich seither die Gerichtsorte nach taktischen Gesichtspunkten aus.

Die Regelung des § 32 ZPO verfolgt jedoch eigentlich den Zweck, die Sachnähe zum Ort des Geschehens herzustellen. Wenn beispielsweise ein Münchner mit einem Berliner einen Autounfall in Frankfurt hat, so kann der Münchner statt in Berlin ( „allgemeiner Gerichtsstand“) wahlweise auch in Frankfurt klagen, wo etwa ortsansässige Zeugen leichter anreisen können und die Richter vielleicht sogar Ortskenntnisse haben. Geschickte Anwälte verlegen jedoch in Internetfällen die Prozesse an Gerichte, die für strenge Rechtsauffassungen bekannt sind. So können sich etwa zwei Münchner gegenseitig in Berlin verklagen, obwohl es keinen sachlichen Grund für diesen Gerichtsort gibt.

Die willkürliche Ausdehnung des fliegenden Gerichtsstands erfährt jedoch in der Fachwelt zunehmend Kritik, die inzwischen in der Politik angekommen ist. Aber auch in der Justiz selber regt sich immer offener Widerstand gegen diese Willkür. So lehnten dieses Jahr immer mehr Richter die örtliche Zuständigkeit ab, wenn offensichtlich kein Sachbezug besteht, so geschehen an den Amtsgerichten Charlottenburg, Hamburg, Krefeld und Frankfurt/Main. Sogar eine Kammer des Landgerichts Hamburg erklärte sich für örtlich unzuständig, da eine Zuständigkeit des Gerichts aus „keinem denkbaren Gerichtsstand“ gegeben sei und forderte eine tatsächlich eingetretene Interessenkollision auch im Bezirk des angerufenen Gerichts. Dies praktiziert seit diesem Jahr in Äußerungsangelegenheiten auch das Landgericht München I, wo der Internetgerichtsstand einst zu Fliegen begann, ebenso die Oberlandesgerichte München und Celle. Das Landgericht Berlin und die für Presseangelegenheiten zuständige Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg halten jedoch unbeeindruckt an ihrer Praxis fest, bieten also sichere Landeplätze für juristische Vielflieger. Da die Zuständigkeit nur in den unteren Instanzen überprüft werden kann, ist dem Bundesgerichtshof insoweit eine Rechtsvereinheitlichung verwehrt. Derartiges wäre nur politisch mit einer Gesetzesänderung möglich.

In den letzten Wochen zementierte das Amtsgericht Frankfurt am Main mit einem Urteil und in einem weiteren Fall mit einem richterlichen Hinweis seine Ablehnung des willkürlichen fliegenden Gerichtsstands. Der Fall ist nicht ganz unbedeutend, denn er betrifft eine für Filesharing-Abmahnungen hinlänglich bekannte Anwaltskanzlei, die für die Musikindustrie in Frankfurt klagen wollte. Für die Filesharing-Abmahner werden die Amtsgerichte künftig die wesentliche Eingangsinstanz sein, denn die hohen Streitwerte von über 5.000,- Euro, die eine Zuständigkeit der Landgerichte begründen sollten, haben die Richter in letzter Zeit mehrfach eingedampft, insbesondere bei den Schadensersatzforderungen für Lizenzanmaßung. Aufgeweckte Abgemahnte pflegen die bei Unterlassungsansprüchen regelmäßig hohen Streitwerte durch Abgabe der modifizierten Unterlassungserklärungen drastisch zu reduzieren, so dass die Fälle bei den Amtsgerichten anhängig zu machen sind. Hat sich aber ein Gericht erst einmal für z.B. örtlich unzuständig erklärt und an ein anderes verweisen, so ist an dieser Entscheidung nicht mehr zu rütteln. Trotz des imposanten Flughafens in Frankfurt am Main genießen Filesharing-Abmahner künftig dort kein beliebiges Landerecht mehr.