"Ich dachte, der Taser wäre nicht geladen"

Außer Kontrolle

Ein "Career Day" in den USA endete mit einem verletzten 10jährigen Jungen. Der Polizist, der dem Jungen seinen Beruf näherbringen sollte, nutzte seinen Taser für eine Lektion der besonderen Art. Der Fall wirft weiter Fragen auf.

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"Career Days" werden in den USA jene Tage genannt, in denen Schülern durch Vertreter der entsprechenden Berufsstände nähergebracht werden soll, wieso gerade ihr Beruf erstrebenswert ist. Anders als z.B. in Deutschland beginnen diese "Career Days" jedoch nicht erst in dem Alter, in dem sich Jugendliche mit der Frage der Berufswahl beschäftigen, sondern vielmehr schon im Kindesalter. So werden beispielsweise schon 8-Jährige gern von den Berufsgruppen, die im allgemeinen eher als heroisch angesehen werden (Militär, Feuerwehr, Polizei), von der Wichtigkeit des Berufsstandes überzeugt und so oft auch der Grundstein für das "Ich will Feuerwehrmann/Polizist werden" bzw. "Ich will unser Land in der Armee verteidigen"-Denken gelegt. Hierbei spielt es eine große Rolle, dass diejenigen, die den Beruf vorstellen, einerseits natürlich diesen positiv darstellen und etliche negative Aspekte ausblenden, andererseits auch Sympathieträger sind.

Ein solcher "Career Day" fand am 4. Mai des Jahres in New Mexico statt. Auf einem Schulspielplatz erklärte Police Officer Webb (angestellt beim New Mexico Department of Public Safety and Motor Transportation) den Jungen, was sein Beruf mit sich bringt, und fragte schließlich, wer bereit sei, ihm beim Waschen seines Polizeiwagens zu helfen. Den obigen drei Berufsgruppen zu helfen, gilt für Kinder oft schon als Ehre, egal um welche Tätigkeit es sich handelt, weshalb die Mehrheit der Jungen sich auch bereit erklärte, den Polizeiwaschdienst zu stellen. Ein Junge jedoch weigerte sich, was vom Officer mit einem "Ich zeige dir mal, was mit Leuten passiert, die nicht tun, was die Polizei sagt" quittiert wurde. In einigen Artikeln findet sich der Zusatz, dieser Kommentar sei scherzhaft gemeint gewesen (auch wird die Antwort des Jungen als Scherz dargestellt, beides findet sich jedoch nicht in den offiziellen Gerichtsnachrichten wieder).

Doch was dann passiert, war weniger amüsant: Officer Webb nahm ein Elektroschockgerät, gemeinhin auch "Taser" genannt und drückte ab. (Taser wurden nach dem Jugendbuch von Victor Appleton genannt, in dem Thom Swift eine "electronic rifle" besitzt, die Menschen mittels Bällen aus blauer Elektrizität betäubt. Der als Erfinder des Tasers geltende Jack Cover (nomen est omen) hatte das Buch gelesen und nannte seine diesem Prinzip folgende Waffe, die er zum Patent anmeldete, Taser.) Er teilte später mit, er sei überzeugt davon gewesen, die Waffe sei gesichert, so dass es nicht dazu kommen könne, dass jemand verletzt wird. Dies erwies sich jedoch als falsche Annahme, die zwei mit Widerhaken versehenen Projektile bohrten sich in den Oberkörper des 10jährigen waschunwilligen Jungen und der Taser entlud sich in dessen Körper, was zu einer Ohnmacht des Jungen führte.

In den Courthouse News (Gerichtsnachrichten) von Sante Fe lässt sich der Vorfall nachlesen und es wird insbesondere klar, dass durch Officer Webbs Aussage, er wäre davon ausgegangen, der Taser sei nicht geladen sowie dessen Eingeständnis der Schuld, hier nicht weiter hinterfragt wurde, wie es zu dem Vorfall kommen konnte. Dies wäre aber letztendlich wichtig gewesen, um zu beleuchten, wieso z.B., wenn auch "scherzhaft", der Officer dem Jungen eine körperliche Sanktion androht, nur weil er einer "Anordnung" der Polizei nicht nachkommt. Zumal es sich ja hierbei nicht um eine Anordnung handelt, die in irgendeiner Form von den Gesetzen gedeckt ist, sondern um eine private Gefälligkeit. Es bleibt also offen, wieso der Officer hier überhaupt meinte, dem Jungen "einen Schrecken einjagen" zu müssen, was ja auch dann erfolgt wäre, wenn der Taser tatsächlich inaktiv gewesen wäre.

Hinzu kommt, dass Officer Webbs Verhalten nach dem Vorfall durchaus auch Fragen offen lässt, inwiefern Polizeiangestellte mit der Gefährlichkeit der Taser, den möglichen Nebenwirkungen und insbesondere auch erster Hilfe nach dem Tasereinsatz vertraut sind. Officer Webb verständigte nämlich weder sofort einen Notarzt noch ein Krankenhaus oder die Eltern des Jungen, sondern zog die beiden Projektile aus dem Körper des Jungen (wo sie zwei Brandmalen ähnliche Flecken hinterließen) und brachte den Verletzten zum Büro des Direktors der Schule; erst von dort aus wurde er zur Schulschwester gebracht, die dann die Eltern verständigte.

Der Junge, so dessen Anwältin, leide seit dem Unfall an posttraumatischem Stresssyndrom und wache nachts auf, halte sich die Brust und habe Angst, wenn er einschliefe, würde er nicht wieder aufwachen. Gegen den Officer wurden Schadensersatzforderungen unter anderem wegen Körperverletzung, fehlender Anwendung von Erster Hilfe, exzessiver Gewaltanwendung und unbegründeter Festnahme geltend gemacht. Officer Webb wurde drei Tage vom Dienst suspendiert und erhielt in dieser Zeit kein Gehalt, zivilrechtliche Ansprüche stehen noch aus.

Taser für alle Fälle

Der Vorfall erinnert an eine ähnliche Geschichte im November 2009. Hier ging es um eine 10-Jährige (Hier stand versehentlich 18jährige, dies wurde geändert - Kommentar der Autorin), die sich weigerte, die Dusche zu benutzen und sich stattdessen in einer Art Trotzanfall auf dem Boden wälzte. Der von der Mutter herbeigerufene Polizist, der um Hilfe gebeten wurde, nutzte seinen Taser,

Obgleich der Einsatz von Tasern im allgemeinen, insbesondere aber gegen Minderjährige, immer wieder stark kritisiert wird, führen Strafverfolgungsbehörden gerne eine Studie ins Feld, die besagt, dass beim Einsatz der Taser auch bei Minderjährigen keine schwerwiegenden körperlichen Schäden zu erwarten wären. Eine Studie, die allerdings in die Kritik geraten ist.

Die Anwendung der Taser, die dem Polizisten insbesondere die Möglichkeit geben, eine Person außer Gefecht zu setzen, ohne sich zu nah an sie heranbegeben zu müssen, ist auch in Europa immer stärker verbreitet. Fehleinschätzungen und zu schneller Tasereinsatz führen immer wieder zu Protesten. In Londen hielt ein britischer Polizist beispielsweise einen Blinden mit Blindenstock für jemanden, der ein Samuraischwert mit sich führte und setzte seinen Taser ein. Kritiker sehen Taser als Waffen, die die Hemmschwelle für den Einsatz herabsetzen, insbesondere auch deshalb, weil sie als "nichttödliche" Waffen beworben werden, wobei die Folgen, in körperlicher und psychischer Art, oft heruntergespielt werden.

Nur selten spielt in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Thematik die Frage eine Rolle, inwiefern auch ohne Tasereinsatz der gewünschte Erfolg seitens der Polizei hätte erzielt werden können. Dabei sollte der Einsatz von Stromwaffen letztendlich, genauso auch wie der Einsatz anderer Waffen, als ultima ratio gelten. Bei einer tobenden 10jährigen Person beispielsweise ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Einsatz einer solchen Waffe tatsächlich notwendig gewesen ist. Kritiker fordern daher auch vehement, dass jeder, der Taserwaffen benutzen darf, auch entsprechend geschult wird, um zu verinnerlichen, dass die Anwendung von Gewalt gegenüber anderen Personen stets nur in ausreichendem Maße und nur dann, wenn sie unbedingt notwendig ist, zur Anwendung kommen darf. Das sollte eigentlich im Polizeidienst zu den grundlegenden Regeln gehören, doch die oftmals eher lässig anmutende Anwendung von Tasern spricht für das Gegenteil.