Bundespräsident: Neuwahlen so spät wie möglich

Eilig wird ein Kandidat oder eine Kandidation gesucht, ob Deutschland auch Handelswege militärisch schützen soll, ist trotz Rücktritt weiter umstritten, die FDP sagt Ja

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Das Datum, das Bundestagspräsident Norbert Lammert verkündet, ist ein Symbol. Am 30. Juni, am allerspätesten Tag, den die 30-Tages-Frist des Grundgesetzes zulässt, soll die 14. Bundesversammlung zusammentreten, um einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Eigentlich bräuchte die Politik Zeit, um einen Kandidaten zu finden, doch diese Zeit hat sie nicht. Die Eile, in der nun ein neues Staatsoberhaupt gefunden werden muss, ist Horst Köhlers Vermächtnis. Mit seinem unerwarteten Rücktritt, der einer Kurzschlusshandlung gleichkam, stellt er die ohnehin angeschlagene Regierung vor eine große Herausforderung.

Auch im Schloss Bellevue wusste offenbar niemand von Rücktrittsplänen, gestern morgen liefen die Geschäfte normal an. Niemand im Schloss Bellevue ahnte, dass der Bundespräsident in wenigen Stunden zurücktreten würde. Es scheint, als ob Horst Köhler seinen Entschluss ohne jede Beratung gefasst hat.

Noch zeichnet sich nicht ab, wer der neue Bundespräsident werden könnte. Im Gespräch sind Jürgen Rüttgers, der nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen ein neues Amt recht gut gebrauchen könnte, jedoch wäre ein Wahlverlierer als Kandidat für das Amt des Staatsoberhauptes ein denkbar schlechtes politisches Signal. Weiterhin ist der derzeitige Finanzminister Wolfgang Schäuble im Gespräch, der jedoch gesundheitlich angeschlagen ist. Zudem dürfte ein Wechsel an der Spitze des Finanzministeriums mitten in einer Wirtschafts- und Finanzkrise nicht dem Wunsch der Koalition entsprechen. Auch ein Wechsel von von der Leyen in das Schloss Bellevue, der angeblich von "starken Kräften" in der Union unterstützt wird, erscheint aus strategischer Sicht unklug, immerhin würde dies den zweiten Wechsel in der noch kurzen Regierungszeit von Schwarz-Gelb im Ministerium für Arbeit und Soziales mit sich bringen.

Die Spitzen der Koalition und die Parteivorsitzenden von Union und Liberalen kamen heute Vormittag zu einem Gespräch zusammen, um über die Nachfolge von Horst Köhler zu beraten. Ergebnisse des Treffens wurden jedoch bisher nicht bekannt.

SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel erklärte im Deutschlandfunk, dass seine Partei derzeit einen Kandidaten suche, der nicht "reine parteipolitische Taktik signalisiert", zeigte sich jedoch auch gesprächsbereit mit der Regierung. Sollte die Regierung jedoch einen Kandidaten vorstellen, um erst anschließend auf die Opposition zuzugehen, würden die Sozialdemokraten "mit Sicherheit" einen eigenen Kandidaten aufstellen. Der Seeheimer Kreis in der SPD brachte den ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück ins Gespräch.

Unterdessen meldete sich Jürgen Trittin zu Wort, der Köhler aufgrund seiner umstrittenen Äußerung zu den wirtschaftlichen Hintergründen der Auslandseinsätze der Bundeswehr besonders hart angegriffen hatte und ihm Kanonenbootpolitik vorwarf. Trittin erklärte, Köhler habe mit seinem Interview Bundestagsabgeordnete, die für den Afghanistaneinsatz und Atalanta gestimmt haben, "in ein schiefes Licht gerückt". "Ich glaube, die wenigsten haben für diese Militäreinsätze gestimmt, weil sie sich für das nationale Interesse der Bundesrepublik Deutschland als Handelsnation eingesetzt haben."

Auch FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger äußerte sich nochmals zu dem -%22Kritik-an-K%C3%B6hler-%C3%BCberzogen%22: Interview. Sie habe sich sehr über die Kritik der Opposition geärgert, sagte sie im ZDF-Morgenmagazin. "Wenn man sich mal anschaut, was im Weißbuch steht, das ja die CDU und die SPD im Jahr 2006 beschlossen haben, nämlich das auch Handelswege geschützt werden sollen, dann ist das etwas, was der Bundespräsident mit Blick auf den Einsatz am Horn von Afrika geäußert hat, was dort bereits auch Tatsache ist, im Mandat steht. Also die Art und Weise der Kritik an ihm halte ich für überzogen." Homburger bestätigt damit, dass es für Auslandseinsätze der Bundeswehr prinzipiell auch wirtschaftliche Gründe geben kann.

Sollte Köhler mit seinem Rücktritt das Ziel verfolgt haben, die aufkommende Diskussion über diese Frage zu beenden, so ist er mit diesem Ansinnen wohl gescheitert.

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