Merkel redet Portugal schön

Das Land benötige kein zweites Hilfspaket und setze die Reformen mutig um, sagte die Kanzlerin, die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus

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Bevor sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag nach Portugal aufgemacht hat, sprach sie ihren konservativen Freunden im Land Mut zu. Gegenüber dem staatlichen Fernsehen erklärte sie ihre allergrößte Hochachtung vor dem, "was im Augenblick" am Rand der Iberischen Halbinsel geleistet werde. Das Land habe seine Verpflichtungen gegenüber internationalen Geldgebern im Rahmen des Rettungspakts in einer Höhe von 78 Milliarden Euro eingehalten. Die Regierung von Pedro Passos Coelho habe "notwendige Veränderungen mutig umgesetzt".

Es würden zwar große Opfer verlangt, doch das Ergebnis "schmerzhafter Veränderungen" werde positiv sein. Es brauche Zeit, bis "einschneidende Reformen" wie in Deutschland wirkten. Dass Portugal 2013 wie Griechenland ein zweites Hilfsprogramm braucht, "davon gehe ich nicht aus", sagte die Kanzlerin. "Im Augenblick sind die Maßnahmen gut umgesetzt und wir hoffen auf den Erfolg dieses Programms", sagte sie im Exklusivinterview. Sie sieht derzeit auch keine Gründe, das Sparprogramm neu zu verhandeln.

Das ist derzeit auch nicht nötig, denn erst kürzlich wurden Portugal schon Zugeständnisse gemacht. Damit wurde widerlegt, dass es die Vorgaben einhält. Da das Haushaltdefizit nach dem ersten Halbjahr schon bei 6,8% lag, war klar, dass Lissabon das Ziel von 4,5% nicht einhalten wird. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) hob es auf 5% an. Statt 2013 soll Portugal nun erst Ende 2014 wieder die Stabilitätsmarke von 3% einhalten. Um das neue Ziel 2012 einzuhalten, müssen aber weitere Milliarden aus privaten Rentenfonds in den Staatshaushalt überwiesen werden. Nur mit diesem Trick gelang es 2011 auch, die Vorgaben einzuhalten. Sonst hätte das Defizit sogar bei etwa 8% gelegen.

Die Konservativen setzen zwar die Vorgaben um, doch viele Experten sehen genau darin den Grund, warum Portugal immer tiefer in der Rezession versinkt. Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber dem Vorjahreszeitraum schon um 3,3% geschrumpft. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung 2013 weiter schrumpft, auch wenn Brüssel optimistisch in der Herbstprognose nur 1% ansetzt.

Die Rezession vernichtet derweil Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit ist auf den Rekordwert von 16% gestiegen. Sie und die harten Sparmaßnahmen führten dazu, dass der Konsum einbrach. Obwohl Steuern massiv erhöht wurden, die Mehrwertsteuer auf 23%, sind die Steuereinnahmen in den ersten sieben Monaten des Jahres sogar um 3,5% gesunken, während Sozialausgaben steigen. Das Land entfernt sich deshalb immer weiter vom zweiten Stabilitätsziel. Statt einer Staatsverschuldung von 60% des BIP lag es nach 22102012-AP-DE.PDF Angaben von Eurostat im zweiten Quartal schon bei fast 118%. Für den IWF liegt die gefährliche Grenze bei 90%, die 2010 überschritten wurde. Statt diesen erratischen Kurs aufzugeben, will die Regierung nun die Steuern erneut "enorm" anheben. Arbeitnehmer werden bis zu zwei Monatslöhne verlieren. Damit werden Konsum und Wirtschaft aber noch stärker abgewürgt und die Arbeitslosigkeit weiter steigen.

Es gibt deshalb keinen Anlass, zu glauben, Portugal könne sich 2013 wieder am Kapitalmarkt refinanzieren. Eher dürfte das Land - wie Griechenland - ein zweites Hilfspaket und einen Schuldschnitt benötigen. Derlei hohe Schulden kann das Land sogar immer schlechter bezahlen, wenn das Geld sehr günstig aus Rettungsfonds kommt. Der Risikoaufschlag für zehnjährige Staatsanleihen lag an den Kapitalmärkten am Montag bei 750 Basispunkten gegenüber Bundesanleihen. Portugal müsste dort eine unbezahlbare Rendite von etwa 9% bieten, Deutschland 1,5%. Als Portugal im Frühjahr 2011 unter den Rettungsschirm ging, war der Aufschlag auf 600 Punkte geklettert.