Der Knutschfleck bleibt und du bist ... mit 14 in der Straftäterdatei

Außer Kontrolle

Das Bundesverfassungsgericht hat darüber geurteilt, ob ein 14-Jähriger eine DNS-Probe zur Aufnahme in die Sexualstraftäterdatei abgeben musste

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Bei Nachrichten aus den USA, in denen es um minderjährige Sexualstraftäter geht, wird oft der Kopf geschüttelt und auf die "rückständigen Amis" verwiesen. Doch auch in Deutschland ist es möglich, dass Minderjährige bereits eine DNS-Probe abgeben müssen, die der Gendatei Sexualstraftäter zugeführt wird. Über einen solchen Fall musste nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) urteilen.

"Mach mir doch keinen Knutschfleck" sang einst Ixi während der Neuen Deutschen Welle, jener Zeit, in der deutschsprachige Musik verschiedenster Couleur eine Hochzeit erlebte. Der Text des eingängigen Liedes ließ darauf schließen, dass Ixi, zu jener Zeit selbst gerade 21, eher das Knutschfleckproble aus der Warte eines Kindes oder Jugendlichen thematisierte:

"Du darfst mich entführ´n in der Nacht,
du, dann machen wir ´ne Kissenschlacht.
Du darfst mich auf die Backe schmatzen,
du, mich jucken und mich kratzen.
Du darfst alles was du willst,
nur eins das nicht!

Du darfst mit mir die Brause blubbern,
du, manchmal meine Nase stuppen.
Du darfst im Matsch mit mir rumwühlen,
du, heimlich Doktor mit mir spielen.
Du darfst alles was du willst,
nur eins das nicht!

Rückfallgefahr nach Knutscherei

Der 14-Jährige, dessen Fall das BVerfG nun auf den Tisch bekam, hatte mit einer 13-Jährigen nicht nur Küsse ausgetauscht und sie durch die Kleidung hindurch an den Genitalien berührt, sondern auch ein deutliches Zeichen für seine Annäherungen hinterlassen. Eben jenen Knutschfleck, den die Eltern zum Anlass nahmen, Strafanzeige gegen ihn zu stellen. Obgleich der Junge beteuerte, alles sei mit dem Einverständnis der 13Jährigen geschehen, wurde er wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vom Amtsgericht Erfurt im November 2011 verwarnt und musste gemeinnützige Arbeit ableisten. Was das Mädchen selbst aussagte (und ob es überhaupt aussagte) ist unbekannt. Nach Darstellung des Jungen waren die Eltern dagegen, dass das Mädchen und er sich nahekamen.

Rein formaljuristisch gesehen ist das Vorgehen gegen den Jungen durchaus legitim. Sexuelle Kontakte zwischen Personen über 14 Jahren mit Personen unter 14 Jahren sind strafbar, auch wenn es sich bei den Personen über 14 Jahren selbst um Minderjährige handelt oder die Person unter 14 Jahren mit den Kontakten einverstanden war. Um jedoch ein rechtliches Ungleichgewicht und daraus resultierende frühzeitige Stigmatisierungen von Heranwachsenden zu vermeiden, wird bei einem nur geringfügigen Altersunterschied das Verfahren oft eingestellt.

Rein in die Sexualstraftäterdatei

Der strafmündige 14-Jährige akzeptierte die Verwarnung, doch dies reichte dem Amtsgericht nicht. Es ordnete zusätzlich die Entnahme einer DNS-Probe an. Der Junge, so das Gericht, hätte immerhin eine erhebliche Straftat begangen, ferner sei davon auszugehen, dass er eine solche Straftat erneut begehen würde. Eine Beschwerde gegen den Beschluss wurde vom Amtsgericht abgelehnt. Der Junge, so hieß es in der Begründung, sei bereits in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie gewesen und dort sei eine "Störung im Sozialverhalten und den Emotionen des Beschwerdeführers" festgestellt worden, weshalb (nicht zuletzt auch, da die emotionale Entwicklung des Jungen nicht abgeschlossen sei) eine Rückfallgefahr vorliege, die die Aufnahme in die Gendatei Sexualstraftäter notwendig mache bzw. begründe.

Einfach ausgedrückt wurde hier im Zweifel gegen den Angeklagten entschieden – dass er emotional nicht ausgereift sei, wurde letztendlich gegen ihn gedeutet und daraus dann eine Rückfallgefahr abgeleitet.

Die nächste Instanz, das Landgericht Erfurt, schloss sich der Ansicht des Amtsgerichts an und hielt die DNS-Entnahme sowie die Aufnahme in die Sexualstraftäterdatei für rechtens. Daraufhin rief die Anwältin des Jungen das BVerfG an. Sie hob hervor, dass es keine hinreichend begründete Prognoseentscheidung gegeben habe und dass das Alter des Jungen nicht ausreichend berücksichtigt worden sei:

"Der Beschwerdeführer trägt vor, die nach § 81g StPO zu treffende Prognoseentscheidung sei nicht ausreichend einzelfallbezogen begründet worden. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass er zur Tatzeit selbst erst 14 Jahre alt gewesen sei und die Handlungen aus seiner Sicht auf gegenseitiger Zuneigung beruht hätten. Es habe es sich daher um eine jugendtypische Tat und keinesfalls um eine solche von erheblicher Bedeutung gehandelt.

Mit Beschluss vom 23. Januar ordnete das BVerfG einstweilig an, dass es zu keiner DNS-Entnahme kommen sollte, das endgültige Urteil wurde nun im August verhältnismäßig schnell gefällt. Das BVerfG fand in dem Urteil deutliche Worte, wie die Welt schreibt. Es rügte nicht nur den Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Jungen, sondern insbesondere auch die mangelhafte Begründung für dieses Vorgehen. Das "besondere öffentliche Interesse", das das Amtsgericht konstatierte, sei nicht nachvollziehbar. Ferner wiesen die Beschlüsse der Vorinstanzen gravierende Fehler auf, die Umstände des Falles (.z.B. das Alter des Jungen) seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Auch seien die "schweren Straftatbestände" nicht als Handlungen mit erheblichem Ausmaß einzustufen:

"Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen sexuellen Handlungen hatten kein erhebliches Ausmaß (…) Das Verhalten des Beschwerdeführers stellt sich somit insgesamt als jugendtypische Verfehlung dar (...)." "

Das Bundesverfassungsgericht hat hier nicht nur sehr deutlich für den Jungen entschieden, es hat auch noch einmal betont, wie wichtig bei derartigen Verfahren die ausdrückliche Würdigung der Umstände jedes Einzelfalles seien:

"Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers beruhten sie aus seiner Sicht auf gegenseitiger Zuneigung. Weder den angegriffenen Entscheidungen noch dem Urteil des Amtsgerichts Arnstadt kann Abweichendes entnommen werden. Das Verhalten des Beschwerdeführers stellt sich somit insgesamt als jugendtypische Verfehlung dar, was auch durch die im untersten Bereich des jugendstrafrechtlichen Sanktionenspektrums liegende Rechtsfolge im Urteil des Amtsgerichts Arnstadt zum Ausdruck kommt.

Dieser Umstand bleibt in den angefochtenen Entscheidungen ohne jede Berücksichtigung. Eine erkennbare Beachtung dieses Faktors wäre aber erforderlich gewesen, da er geeignet ist, die Prognoseentscheidung in Bezug auf künftige Straftaten von erheblicher Bedeutung maßgeblich zu beeinflussen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2007 - 2 BvR 2577/06 -, juris, Rn. 24).

Auch lassen die angefochtenen Entscheidungen nicht erkennen, ob die möglichen Auswirkungen der Anordnung einer Erfassung und Speicherung von Genmerkmalen auf die weitere Entwicklung des jugendlichen Beschwerdeführers Gegenstand der den Gerichten auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit obliegenden Abwägung war. Dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts wohnt das Verfassungsrang beanspruchende Ziel möglichst weitgehender sozialer Integration inne (vgl. BVerfGE 116, 69 (85)).

Die Einwirkung exekutiver Maßnahmen auf Jugendliche ist aufgrund deren noch andauernder Labilität sowie ihrer erhöhten subjektiven 'Eindrucksfähigkeit' gravierender als auf Erwachsene. Abhängig von den konkreten Umständen kann durch die dauerhafte Speicherung eines unverwechselbaren Erkennungsmerkmals eines Jugendlichen eine „Brandmarkung“ drohen, welche als determinierendes Element die Möglichkeit andauernder Straffreiheit als Grundvoraussetzung sozialer Integration einschränken kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2007 - 2 BvR 2577/06 -, juris, Rn. 28)."