Wer ist schuld am grünen Absturz?

Beim Kleinen Parteitag der Grünen gaben sich alle kämpferisch, doch hinter den Kulissen wird schon Jürgen Trittin für schlechte Umfragewerte verantwortlich gemacht

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"Wir freuen uns auf den Wahlkampf und Du?" Dieser kumpelhafte Spruch der Grünen stammt noch aus einer Zeit, als die Ökopartei von den Umfragen zu den Gewinnern gezählt wurde. Bis zu 20 % schienen drin, ganz Optimistische sprachen schon davon, dass die Grünen nach den Wahlen zur Volkspartei auf Augenhöhe mit SPD und Union aufrücken wird. Wenn es mit der Wunschkoalition mit der SPD nicht klappen sollte, dann lag es an der Schwäche der Sozialdemokraten.

Doch seit einigen Wochen hat sich der Wind gedreht. In neueren Umfragen sind die Grünen wieder bei 10 % gelandet und hätten sich damit gegenüber der letzten Bundestagswahl verschlechtert. Längst wurden die Meldungen vom "Grünen Absturz" ein Selbstläufer. Verlierer werden in der Medienwelt mit Häme und Spott begegnet, und auch die SPD kann sich jetzt revanchieren und den Grünen die Verantwortung für die mangelnde Zugkraft für Rotgrün zuschieben, obwohl sie mit 26 % nun auch kein Zugpferd ist.

Auf dem Grünen Länderrat, der am letzten Wochenende in Bamberg stattgefunden hat, konnte niemand mehr über die bröckelnden Umfragewerte hinwegsehen: "Es war klar, dass uns der Wind ins Gesicht schlägt, wenn wir anders als die Bundesregierung einen inhaltlichen Wahlkampf führen", versuchte die grüne Wahlkampfleiterin Steffi Lemke auch in den sinkenden Umfragewerten einen Beweis dafür zu sehen, dass Grün wirkt.

Zu sozial für den grünen Mittelstand?

In Bamberg gaben sich die grünen Spitzenpolitiker noch mal gemeinsam kämpferisch. Doch nach der Wahl wird abgerechnet. Sollten die Grünen tatsächlich unter ihre Ergebnisse der letzten Wahl fallen, soll vor allem Jürgen Trittin dafür in die Verantwortung genommen werden.

In der grünennahen Taz werden die Messer schon gewetzt. Unter dem Titel "Grüner Herbst" wird Trittin als "ehrenwerter Held des Dosenpfands" dafür heftig gescholten, dass er beim Fernsehduell der Kleinen Parteien am letzten Montag zu kumpelhaft mit Gregor Gysi von der Linkspartei scherzte. Trittin gelinge es nicht, von seiner linken Vergangenheit losgekommen, rügt der Kommentator. Dagegen hätte Kathrin Göring-Eckardt deutlich machen können, dass die Grünen mit dieser Vergangenheit längst gebrochen haben. Aber nicht nur Trittin auch das grüne Wahlprogramm ist dem Kommentator noch zu links. "Die Zuspitzung auf leichte Steuererhöhungen und auf Sozialpolitik macht den Grünen jetzt die WählerInnen abspenstig. Wussten sie nicht, dass in einem moralischen Sinne jeder gern geben möchte, wenn aber an Steuersätze geht, ein jeder ans eigene Portemonnaie fasst", weiß der Kommentator. Dass führt ihn aber nicht dazu, den Egoismus eines grünen Mittelstandes anzugreifen, sondern er kommt zur Schlussfolgerung: "Die Grünen haben sich verrannt."

Dabei hat erst vor wenigen Tagen das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in einer Studie deutlich gemacht, wie die gesellschaftliche Ungleichheit auch durch die Steuergeschenke für Vermögende gewachsen ist. Wenn in Zeiten einer permanenten Schuldenkrise und einer Demontage der sozialen Infrastruktur ein Vorschlag, den Steuersatz so moderat anzuheben, dass er noch weit unter denen der Kohl-Ära liegt, schon zu Fluchtreflexen des grünen Klientel führt, kann man leicht ermessen, welch geringen Stellenwert Werte wie Solidarität und Egalität dort haben.

Das bekam die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung kürzlich auch vom Berliner Arbeitsgericht bescheinigt, vor dem sich ein Leiharbeiter erfolgreich in eine Festanstellung einklagte. Die Böll-Stiftung sieht hierbei nur die Leihfirma in der Verantwortung. Deshalb werden in Berlin wohl auch noch weiter Plakate zu sehen sein, die den grünen Wahlkampf persiflieren. Neben dem Konterfei des Namensgebers der Stiftung steht die Frage: "Ich bin gegen prekäre Arbeit in der grüne Heinrich-Böll-Stiftung - und Du?"

Eine andere Wahlpersiflage, die in Berlin derzeit für Aufsehen sorgt, dürfte einem Teil der Grünen hingegen gefallen. Die Wahlplakate des Grünen Direktkandidaten von Friedrichshain und Kreuzberg Christian Ströbele sind mit dem Konterfei des 2011 im hohen Alter von 108 Jahren verstorbenen Schauspielers Johannes Heesters überklebt. Jetzt wird gerätselt, ob es um eine Intervention der Titanic-Partei handelt oder ob innerparteiliche Ströbele-Kritiker hier noch einmal deutlich machen sollten, dass der 74jährige Politiker in Rente geschickt werden sollte. Dabei dürfte neben dem Alter vor allem Ströbeles politische Zuordnung eine Rolle spielen, der erst kürzlich im Interview gesagt hatte, in einer Kooperation mit der Linkspartei kein Problem zu sehen.

Reif für Schwarz-Grün

Wenn aber erst einmal Trittin für ein schlechtes Wahlergebnis in die Verantwortung genommen wurde und Ströbele auf sein Altenteil verwiesen werden soll, dann haben die Grünen ihre linke Vergangenheit nicht nur programmatisch, sondern auch personell weitgehend überwunden. Dann steht endgültig auch jener schwarz-grünen Kooperation nichts mehr im Wege, die die Taz in ihrer Wochenendausgabe mit der Selbstbewerbung dick und gemütlich so tapfer herbei schreibt. Eine solche Konstellation könnte sich schon nach den nächsten Wahlen ergeben, wenn es für die bisherige Koalition nicht mehr reicht und die SPD zu viele Forderungen stellt.

Auch der emeritierte Berliner Politologe und langjährige Bewegungsforscher Peter Grottian hat neuerdings den Charme dieser Konstellation entdeckt. Sie wäre nur konsequent, weil sich dann politisch zusammenschieben würde, was im Privaten längst harmoniert. Schließlich haben die in die Jahre gekommenen Grünen der ersten Stunde längst das Erbe ihrer Eltern angetreten.