Ist das Neurotoxin Blei eine der Ursachen für die Aufmerksamkeitsstörung?

Ein US-Psychologe glaubt, Belege gefunden zu haben, dass Blei in Gehirnen von Kindern zu ADHS führen kann.

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In letzter Zeit haben sich für die epidemisch sich ausbreitende Aufmerksamkeitsstörung ADHS (ADHD) mehrere Erklärungen ausgebildet. Die einfachste ist schlicht, dass mit einer neuen Beschreibung eines Phänomens als einer krankhaften Störung die diagnostizierten Fälle zunehmen. Dabei könnte es sich auch um eine Art Mode handeln, die neue Absatzmärkte für Medikamente und Therapeuten schafft. Es könnte sich aber auch die Umwelt verändert haben. Zunehmender Leistungsdruck in den Familien und Schulen, neue Normen für akzeptables Verhalten oder zunehmende Aussetzung an Medien. Meist wird derzeit davon ausgegangen, dass ADHS irgendwie genetisch bedingt ist. Eine andere Erklärung macht Umweltgifte oder Lebensmittelallergien dafür verantwortlich ( Gehirne in einer neurotoxischen Suppe. Wissenschaftler warnen vor einer "stillen Epidemie" durch industriell hergestellte Chemikalien, die vor allem die Gehirne von Kindern schädigen können, s.a. Die Verblödung schreitet voran).

Der Psychologe Joel Nigg von der Oregon Health & Science University geht in seiner Studie, die in der Februarausgabe der Zeitschrift Current Directions in Psychological Science erschienen ist, zumindest davon aus, dass die mit Aufmerksamkeitsschwäche, Impulsivität und Hyperaktivität verbundene Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zumindest teilweise auf das Neurotoxin Blei zurückzuführen ist, das sich trotz zahlreicher Verbote praktisch überall in der Umwelt findet und in jedem Körper nachzuweisen ist. Bleibelastung kann zu zahlreiche Folgen in jungen Gehirnen führen. Bekannt ist, dass die Auswirkungen auf den präfrontalen Kortex und das Striatum besonders ausgeprägt sind. Beide Gehirnareale spielen auch bei ADHS eine Rolle. Die Frage ist, ob auch geringe Konzentrationen von Blei das Gehirn beeinträchtigen können. In einer anderen Studie glaubt man Belege gefunden zu haben, dass Blei auch eine der Ursachen für die Altersdemenz sein könnte.

Nigg weist für seine Hypothese auf zwei Studien hin, die kürzlich erscheinen sind und eine Verbindung zu belegen scheinen. In einer Studie aus dem Jahr 2008, die er zusammen mit Kollegen durchgeführt hat, wurde bei Kindern in den USA, die mit ADHS diagnostiziert waren, gefunden, dass sie gegenüber Kindern in der Kontrollgruppe leicht höhere Bleiwerte in ihrem Blut hatten. Die durchschnittliche Belastung bei Kindern im 21. Jahrhundert liegt bei 1 μg/dL, bei den ADHS-Kindern regelmäig darüber. Allerdings ergab sich hier nur eine Verbindung zwischen erhöhter Hyperaktivität und Impulsivität, nicht aber mit Unaufmerksamkeit. In einer zweite, von Nigg und anderen durchgeführten Studie ergab sich noch stärkere Verbindung zwischen der Bleikonzentration und allen ADHS-Symptomen, die von Eltern und Lehrern bei den Kindern beschrieben wurden. In beiden Fällen war die Verbindung unabhängig vom Intelligenzquotienten, Familieneinkommen, ethnischer Abstammung, Alter und Geschlecht des Kinds oder Rauchen der Mutter in der Schwangerschaft.

Für Nigg bestätigt dies die Hypothese, dass Blei in wachsenden Gehirnen am Striatum und präfrontalem Kortex andockt und dort auf die Gene einwirkt, also sie entweder einschaltet oder ihre Expression unterdrückt. Durch diesen Einfluss auf die Gene, die die Gehirnaktivität steuern, verändert das Blei womöglich auch die psychischen Prozesse, vor allem die kognitive Kontrolle, die zu Hyperaktivität und Konzentrationsschwäche führt.