Türkei: Erste Tote bei den Protesten

Ministerpräsident Erdoğan glaubt, dass sich die Lage in den nächsten Tagen normalisieren werde, gießt aber mit Äußerungen über die Proteste zugleich Öl ins Feuer

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Längst ist nicht mehr nur Istanbul Schauplatz von Protesten und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten in der Türkei, sondern auch andere Städte. Nach Regierungsangaben wurden bislang in Ankara 1.500 Personen verhaftet, in Ismir 300 und 370 in Adana. Gestern wurden die ersten Toten gemeldet. In Antakya, in der südlichen Provinz Hatay, wurde ein Demonstrant durch einen Kopfschuss getötet, berichtet die Zeitung Zaman. Die Umstände sind noch unbekannt; der 22-jährige Mann war Mitglied der Jugendorganisation Oppositionspartei CHP. Am Sonntag wurde ein Mann durch ein Auto getötet, das durch eine Menge von Demonstranten fuhr.

Ministerpräsident Tayyip Erdoğan gab sich auf einer Pressekonferenz noch zuversichtlich, dass die landesweiten Proteste bald vorüber seien und sich die Situation in der Türkei in "wenigen Tagen normalisieren" werde. Eine Auffassung, die nicht jeder teilt, und die Kritik an seiner Führung, die ihm Machtrunkenheit vorwirft und einen damit einhergehenden Verlust des Gespürs für Realität, nährt. Umso mehr als Erdoğan Äußerungen tat, die ihn als "verbohrten Despoten" erscheinen ließen, indem er die Proteste "Extremisten, ausländischen Akteuren, Twitter und Betrunkenen" zuschrieb.

Er drohte darüberhinaus damit, Anhänger der AKP zu mobilisieren. Das seien immerhin 50 % der Bevölkerung und man könne sie kaum in ihren Wohnungen zurückhalten. Der Deeskalation dienen solche Äußerungen nicht. Sie dürften die Stimmung gegen die Regierung eher anheizen. Dass der türkische Präsident und Parteikollege Abdullah Gül ihm entgegenhielt, dass Demokratie sich nicht nur über Wahlen kennzeichne, spricht Bände und für unterschiedliche Strömungen in der Partei selbst.

Auch, was die Demonstranten angeht, treffen sich dort mehrere Strömungen, der usrprüngliche Anlass der ersten Proteste mischt sich mit einem hintergründigen Kulturkampf und politischer Opposition aus verschiedenen Lagern, was auch Extremisten Gelegenheiten zum Trittbrettfahren gibt.