Erbenhaftung bei Tod von ALG II-Empfängern erneut bestätigt

Außer Kontrolle

Wenn ALG II-Empfänger etwas vererben, müssen die Erben oft einen Teil des Erbes an die Transferleistungszahler zurückerstatten. Zu Recht, entschied das Sozialgericht Berlin

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Tod und Testament

Der Tod mit all seinen Begleiterscheinungen wie Begräbnis(kosten), Erbe und z.B. Wünsche hinsichtlich des Einsatzes von lebenserhaltenden Maschinen nach einem Unfall usw. ist in vielen Familien weiterhin Tabuthema. Selbst wenn es absehbar ist, wann jemand stirbt, wird diese Klippe oft durch ein "Das wird schon wieder, halt durch!" umschifft - teilweise, weil das bevorstehende Ableben nicht akzeptiert wird, teilweise auch, weil es als morbide und unfein angesehen wird, über den (eigenen) Tod zu reden.

Für Erben ist so ein Testament oft auch mit Zeit und Kosten verbunden. Zum einen kommen Kosten für eine Behörde auf einen zu, da z.B. im Fall eines handschriftlichen, zu Hause gelagerten Testaments, Banken das verbliebene Vermögen des Toten erst nach Testamentseröffnung auszahlen. Das Testament selbst ist dabei zunächst dem Amtsgericht vorzulegen, welches sich die offizielle Eröffnung dann bezahlen lässt. Dann erst erfolgt die Auszahlung, wobei selbstverständlich auch zu beachten ist, dass ggf. Erbschaftssteuer zu entrichten ist.

Für Erben eines ALG II-Empfängers sorgt jedoch noch ein weiterer Aspekt dafür, dass sich (sofern möglich) eine frühere Auseinandersetzung mit dem Tod und dem (Schon)Vermögen des Toten im wahrsten Sinne des Wortes lohnt. Sicher erscheint es schnöde und geldgierig, mit einem Menschen, dessen Leben zu Ende geht, über dessen Vermögen zu sprechen, doch wenn dieser tatsächlich seinen Erben etwas hinterlassen möchte, so ist eine Geldübertragung vor dem Ableben durchaus ratsam, da ansonsten unter Umständen für den Erben nach Rückzahlung an die Sozialbehörden nichts mehr über bleibt.

Kein Schonvermögen für Erben

Möglich macht dies die Schonvermögenregelung, die nur den ALG II-Empfänger selbst betrifft, nicht jedoch dessen Erben.

§ 35 SGB II Erbenhaftung

(1)Der Erbe einer Person, die Leistungen nach diesem Buch erhalten hat, ist zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, soweit diese innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall erbracht worden sind und 1.700 Euro übersteigen. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.

Die Ersatzpflicht ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt

.

(2) Der Ersatzanspruch ist nicht geltend zu machen, 1. soweit der Wert des Nachlasses unter

15.500 Euro

liegt, wenn der Erbe der Partner der Person, die die Leistungen empfangen hat, war oder mit diesem verwandt war und nicht nur vorübergehend bis zum Tode der Person, die die Leistungen empfangen hat, mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt und sie gepflegt hat,

2. soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach dem Tod der Person, die die Leistungen empfangen hat. § 34 Absatz 3 Satz 2 gilt sinngemäß.

Das Sozialgericht Berlin hat diese Bestimmung nun bestätigt. Geklagt hatte die Erbin eines ALG II-Empfängers, die vom Nachlass in Höhe von 19.850 Euro ca. 11.900 Euro an ALG II-Leistungen, die der Verstorbene erhalten hatte, zurückzahlen sollte. Die Klägerin sah in der Regelung einen Verstoß gegen das Erbrecht, was das Gericht aber verneinte.

Mit ihrer am 7. Juni 2008 beim Sozialgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. [...] Die Vorschrift des § 35 SGB II verstieße außerdem gegen das in Art. 14 GG garantierte Erbrecht.[...]Die Klägerin sei alleinerziehend und habe zwei Kinder im Alter von 13 und 19 Jahren. Sie sei selbstständig tätig und verdiene monatlich ungefähr netto 800,00 EUR. ( Urteilstext im Langformat Aktenzeichen S 149 AS 21300/08 )

Das Gericht sah in der Tatsache, dass die Klägerin alleinerziehend und geringverdienend ist, keine besondere Härte in Bezug auf die Erbenhaftung. Die Rückzahlung sei insofern zu leisten. Das Schonvermögen, das zu Beginn der Leistungszahlung über 20.000 Euro gelegen hatte (der Verstorbene war zu jenem Zeitpunkt 58 Jahre alt), hätte einer Leistungszahlung nicht entgegengestanden, nach seinem Ableben flösse jedoch das Vermögen in die Erbmasse, von der unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 1.700 Euro die Transferleistungen, egal ob direkt oder indirekt gezahlt (Krankenversicherung etc.), zu erstatten sind.

Im vorliegenden Fall war ein vorheriges Absprechen nicht möglich, da die Erbin keinen Kontakt zum Vater pflegte. Für diejenigen, bei denen ein solcher Kontakt besteht, wäre eine Enttabuisierung des Themas Tod nicht nur aus diesen Gründen ratsam.