Pragmatisch und soziopathisch

Warum weniger zivile Opfer bei US-Drohnenangriffen registriert werden und immer mehr getötete "Militante"

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In einem längeren, die Lektüre lohnenden Artikel konsultiert die New York Times ehemalige und frühere Berater des amerikanischen Präsidenten, um den "Change" Obamas im Krieg gegen den Terror näher zu beleuchten. Deren Aussagen bestätigen, dass Obamas War on Terror vieles fortsetzt, was unter Vorgänger Bush für große Kritik sorgte - geändert wurde die Öffentlichkeitsarbeit, die Sprachregelung. Die besteht manchmal schlicht im Schweigen. So hört man beispielsweise nichts mehr von "Extraordinary Renditions", den extralegalen Entführungen von Verdächtigen durch Geheimdienste, die unter Clinton begonnen wurde und unter Bush intensiviert wurden.

"Problem solved — and no messy public explanation"

Der ehemalige Anwalt Obama wird von seinen Beratern als Pragmatiker, der sich nicht von ideologischen Prinzipien leiten lässt, gekennzeichnet. Im Fall der Verschleppung von Verdächtigen zeigt sich die Pragmatik im Austausch des Vokabulars, kleine Änderung, größere öffentliche Wirkung:

"Mr. Craig assured him that the new president had no intention of ending rendition — only its abuse, which could lead to American complicity in torture abroad. So a new definition of 'detention facility' was inserted, excluding places used to hold people 'on a short-term, transitory basis.' Problem solved — and no messy public explanation damped Mr. Obama’s celebration."

Gemäßigt und hart

Rhetorisch relevant ist hier das Stichwort "abuse", der Missbrauch. Mit solchen Relativierungen gelingt Obama das Kunststück, sich als zugleich gemäßigt und hart im Krieg gegen den Terror zu verkaufen. Die Kritik der Republikaner, ihn als zu "soft" darzustellen, geht ins Leere; Nachrichten mit al-Qaida in der Überschrift sind Erfolgsmeldungen für Obama. Auch, dass er, anders als Bush, der die Kriege in Afghanistan und Irak begonnen hat, aus diesen Kriegen aussteigt, passt zu diesem sorgfältig austarierten Image-Building. Statt aufwändigen Militäreinsätzen setzt Obama auf gezielte Angriffe gegen Terroristen, so sieht das Narrativ der Wahlkampfkampagne aus. Obama ist der Präsident, der den Drohnen-Krieg intensiviert hat - in der öffentlichen Wahrnehmung in den USA ist das eine saubere Sache.

Die Opfer? Mit Worten auslöschen..

Das liegt daran, dass US-Medien so über Drohnenangriffe berichten, dass nur mehr selten zivile Opfer auftauchen, sondern nur mehr "militants". In pakistanischen Meldungen liest sich das anders. Hintergrund dafür ist auch eine Sprachregelung Obamas, die aus dem New York Artikel ersichtlich wird. Erinnert man sich noch daran, welche rechtlichen Erwägungen die Definition von "enemy combattants" unter der Regierung Bush zur Folge hatte? Im Vergleich dazu werden solche heiklen Begriffsfelde unter Obama lässig bearbeitet. Zu viele zivile Opfer? "Abuse of force"?

Dazu, so legen die Aussage der Berater nahe, ist es nicht nötig, das Counterterrorism-Program entscheidend oder grundlegend zu ändern. Eine große Stellschraube genügt: der Präsident behält sich die Letztentscheidung von Drohnenanschlägen in riskanten Situationen vor - der Rest ist Definitionssache, Darstellung: "alle Männer, die im rekrutierfähigen Alter (military-age) sind und sich in der Angriffszone aufhalten, sind Feinde, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird":

"It is also because Mr. Obama embraced a disputed method for counting civilian casualties that did little to box him in. It in effect counts all military-age males in a strike zone as combatants, according to several administration officials, unless there is explicit intelligence posthumously proving them innocent."

Simple Logik

Dies hat, so der Zeitungsbericht, die Zahlen der zivilen Opfer deutlich schwinden lassen. Dass dies nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt, gestehen selbst CIA-Mitglieder ein:

"Counterterrorism officials insist this approach is one of simple logic: people in an area of known terrorist activity, or found with a top Qaeda operative, are probably up to no good (...)
But in interviews, three former senior intelligence officials expressed disbelief that the number could be so low. The C.I.A. accounting has so troubled some administration officials outside the agency that they have brought their concerns to the White House. One called it 'guilt by association' that has led to 'deceptive' estimates of civilian casualties."

Soziopathisch

Da die Mehrheit der US-Medien den verschleiernden Sprachgebrauch der getöteten "militants" übernimmt, ohne eine Ahgnung davon zu haben, wer getötet wurde, sei dies üble Propaganda, schreibt Glenn Greenwald, Kolumnist beim Online-Magazin Salon. Die Definition von Militanten als "all military-age males in a strike zone as combatants" sei "nichts weniger als soziopathisch".

Seine Defintion sieht so aus: "a 'militant' is any human being whose life is extinguished when an American missile or bomb detonates."