Koalition will Online-Durchsuchung nicht übers Knie brechen

Vertreter von Bundesregierung und Union erklärten auf dem Bitkom-Forum zur inneren Sicherheit, dass man gemäß dem Drängen der SPD vor einem Entscheid über Online-Razzien das Urteil des Verfassungsgerichts abwarten werde.

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Punktsieg im Streit um heimliche Online-Durchsuchungen für die SPD: Vertreter von Bundesregierung und Union erklärten auf dem Bitkom-Forum zur inneren Sicherheit am heutigen Mittwoch in Berlin, dass man gemäß dem Drängen der Sozialdemokraten vor einem Entscheid über eine Befugnis für bundesweite Online-Razzien das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen abwarten wolle. "Das haben wir so vereinbart", sagte Stephan Mayer, innen- und rechtspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, in Bezug auf entsprechende Koalitionsgespräche. Zuvor hatte auch August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, signalisiert, dass der Gesetzesentwurf mit der umkämpften Passage zur Ausforschung "informationstechnischer Systeme" zunächst auf Eis gelegt worden sei.

Die Karlsruher Richter zeigten bei der Anhörung über die Schnüffellizenz für den Verfassungsschutz in NRW Anfang Oktober deutliche Zweifel an der Verfassungskonformität der entsprechenden Gesetzesgrundlage. Dennoch beharrten vor allem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, auf der raschen Einführung einer bundesweiten gesetzlichen Regelung für verdeckte Online-Durchsuchungen im Rahmen der Novelle des BKA-Gesetzes. Die roten Roben dürften die Klausel für Online-Razzien kippen, hat Mayer dagegen inzwischen erkannt. Das Landesgesetz sei wohl tatsächlich "nicht optimal ausgestaltet". Man wolle daher die Hinweise aus Karlsruhe im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene aufgreifen. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts könne aber "kein apodiktisches Urteil" für einen Beschluss im Bundestag darstellen.

Generell hält Mayer den Einsatz des sogenannten Bundestrojaners weiter für "am allervordringlichsten erforderlich", weil das Hauptkommunikationsmittel von Terroristen und anderen Straftätern heutzutage das Internet sei. Über das klassische Telefon würden dagegen kaum noch relevante Informationen übermittelt. Der Gesetzgeber habe daher die "verdammte Pflicht", Ermittlern Möglichkeiten zu geben, sich auf gleicher Augenhöhe mit den Kriminellen zu "duellieren". Der private PC dürfe da "nicht sakrosankt sein".

Für Max Stadler, FDP-Obmann im Innenausschuss des Bundestags, lautet das Grundproblem dagegen, "ob es einen Kernbereich der Privatsphäre geben soll, den wir unangetastet lassen". Die Sicherheitsbehörden sollten zwar "den neuesten technischen Stand zur Verfügung haben". Man müsse aber bei den alten rechtsstaatlichen Prinzipien bleiben. Danach habe der Staat wohl das Recht, jemand zu überwachen. Aber nur dann, wenn er sich verdächtig gemacht habe. "Auch zur Verhinderung von Straftaten muss an ein konkretes Verdachtsmoment angeknüpft werden, sonst geraten ja praktisch alle ins Visier." Mit Online-Razzien lasse sich der Gesetzgeber zudem auf ein Hase-und-Igel-Spiel ein. "Wenn es einen Verdächtigen in Berlin gibt, sollen dann auch alle Berliner Internet-Cafés flächendeckend überwacht werden?", warf Stadler als Frage auf. Bei einem solchen Ansatz würden "die Maßstäbe verloren gehen".

Die von Befürwortern heimlicher Online-Durchsuchungen in der Union gern ins Feld geführten hohen Verfahrenshürden bezeichnete der Liberale als "stumpfes Schwert". Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), dem das Innenministerium die Befugnis zur Beantragung entsprechender Ermittlungsmaßnahmen geben will, werde in jedem Fall sicher "bestimmte Verdachtselemente" vortragen. Wer diese als Richter ablehne, "hat eine ganz große Verantwortung". Zu einer echten Eingrenzung würden die Anforderungen an das Prozedere daher wohl kaum führen. Stadler verwies zudem auf eine stärkere Sensibilisierung für den Schutz der Privatsphäre gegenüber dem Staat in der Bevölkerung, die auch etwa mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gewachsen sei. Gerade viele jüngere Menschen würden sagen, "das geht uns zu weit".

Gleicher Ansicht war Heribert Prantl, Leiter des Ressorts Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung. Er beschwor die Gefahr herauf, "dass die Akzeptanz von Sicherheitsgesetzen schwindet". Die "Generation Internet" springe ab und verweigere den Gesetzesgehorsam, wie sich am Widerstand gegen neue Überwachungsvorhaben in der Blogosphäre bereits zeige. Er vermisse in der Diskussion um die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen die Frage nach dem "absoluten Tabu". Dieses verlaufe wohl "in der Nähe des privaten Computers".

Der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Udo Helmbrecht, stellte dagegen die Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden durch eine neue, von Kommunikation getragene und in virtuellen Welten lebenden Gesellschaft in den Vordergrund. Nationale Territorien und Bereiche wie "Wohnung" oder "Haus" seien darin nicht mehr abgrenzbar. Als größtes Problem bezeichnete er dabei die Entwicklung internationaler Bot-Netze. Zur Online-Durchsuchung wollte Helmbrecht nicht direkt Stellung nehmen. Er zeigte sich nur sehr unglücklich, dass die Medien weiter vom "Bundestrojaner" sprächen. Beim BKA in Arbeit sei dagegen eine "Remote Forensic Software" (RFS), die keine Schwachstellen in IT-Infrastrukturen ausnutzen werde.

"Viel mehr Augenmaß" in der Debatte forderte Thomas Tschersich von der Deutschen Telekom. Vor dem Ruf nach neuen Befugnissen müssten zunächst die bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. "Wir müssen die Überwachungsfähigkeit in die Netze integrieren", führte der Vorsitzende des Lenkungsausschusses Sicherheit im IT-Branchenverband Bitkom am Beispiel der Verpflichtung zum Einbau von Abhörboxen durch die Provider aus. Aber nur Behörden in drei Bundesländern seien technisch überhaupt in der Lage, sich dort einzuklinken. Mit der RFS bekäme man jedenfalls "nur die Dummen", während man den Internet- und E-Mail-Anschluss von Verdächtigen schon beschatten könne. Größtes Problem seien aber nicht Einzelmaßnahmen, sondern "die hunderttausend Überwachungsbeschlüsse, die bei uns reinflattern".

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (pmz)